Samstag, 12. Oktober 2019

Was tun mit der inneren Leere?

Ja, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern und diese Erinnerung schmerzt: Die innere Leere während meiner Zeit mit Bulimie, die ich viele Jahre erlebt habe, war teils so stark, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass jemals besser werden könnte, dass ich sie irgendwann abstreifen könnte. Aber ich habe es geschafft, und ich werde mal etwas darüber schreiben, wie ich es gemacht habe.

In meinen Augen hat es diese innere Leere bei Betroffenen von Bulimie sehr leicht, "sich breit zu machen". Denn ich sehe einen ganz klaren Zusammenhang zwischen dieser inneren Leere und der Betäubung von Emotionen durch FAs. Bei (vielen) gesunden Menschen ohne Essstörung gibt es diese extreme innere Leere nicht, da sie normalerweise in Kontakt zu ihren Emotionen und zu ihrer inneren Stimme stehen. Sobald die innere Stimme durch FAs immer wieder weggedrückt wird, kommt sie immer schwerer "durch" bzw. nach oben ins Bewusstsein. Dadurch entsteht diese extreme innere Leere oder auch Unruhe - instinktiv weiß der Körper eben, dass etwas ganz enorm nicht stimmt.

Die Emotionen, die eigentlich ja wichtige Wegweiser für unser Leben und unseren Alltag sind, werden durch den FA einfach weggedrückt - und wie bei einem schreienden Kind sind sie dann vielleicht erstmal still, aber durch das Wegdrücken ist der Grund des Schreiens ja nicht behoben. Sie kommen irgendwann wieder, wimmern weiter vor sich hin. Irgendwann hat das Kind dann aber auch gelernt, dass es nicht erwünscht ist und lässt das Schreien ganz sein und versucht stattdessen, sich irgendwie anders zu beruhigen, um nicht "zur Last zu fallen".

Nicht ohne Grund gibt es das Bild des Inneren Kinds. Dabei werden Emotionen und Bedürfnisse durch das Innere Kind personifiziert. Man fragt man sich, was braucht mein inneres Kind gerade, wie könnte ich "ihm" (und damit also mir selbst) gerade helfen, um mich wohl zu fühlen? Dabei habe ich selbst auch die Erfahrung gemacht, dass man sich durch diese Vorstellung, dadurch, sich das Innere Kind ja sozusagen als 2. Person vorzustellen (als kindliche Version der eigenen Person) die eigenen Bedürfnisse sehr viel klarer werden, weil man eine gewisse Distanz gewinnt. Das hat auch viel damit zu tun, dass man eine andere Person normalerweise viel respektloser und einfühlsamer behandeln würde, als das bei einer Person mit Bulimie oft der Fall ist - hier herrscht oft ein respektloser und abfälliger "innerer Ton".

Meiner Erfahrung nach kann diese Vorstellung, dass in einem selbst ein Inneres Kind ist, um das man sich kümmern muss, schon einen sehr guten Ansatz liefern, um diese innere Leere wieder aufzufüllen. Die innere Leere ist nichts, was für immer da sein wird. Sie ist vielmehr ein Symptom der Bulimie, das du genau wie die Bulimie loswerden kannst.

Dienstag, 8. Oktober 2019

Der erste Schritt aus der Bulimie

Eine der meistgestellten Fragen überhaupt: Was genau muss ich eigentlich zuerst machen, damit ich es aus der Bulimie schaffe? Dazu will ich heute schreiben, was meiner Meinung nach der allererste Schritt sein muss.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie es bei mir damals war. Okay, zugegeben, es ist jetzt schon viele Jahre her - aber die Erinnerung daran ist so stark, dass ich es heute mit dir teilen will. Damals, als ich noch mit der Bulimie zu kämpfen hatte, hätte ich mir nie vorstellen können, dass dieser eine Schritt wirklich so viel in Gang setzen kann: Ich habe mich damals dazu entschlossen, mich nicht mehr zu übergeben. Ja, egal, wieviel ich essen sollte und wie "schlimm" der FA sein sollte - kein Übergeben mehr.

Was danach passiert ist: Ich habe mich vorher (also vor einem FA) viel bewusster gefragt, ob dieser FA jetzt wirklich sein muss. Oft habe ich mich dann doch für einen FA "entschieden" - ja, ich habe endlich wieder die Kontrolle bei mir selbst und nicht der Bulimie gesehen. ICH konnte mich für oder gegen einen FA entscheiden.

Wie ich schon öfter beschrieben habe, habe ich dann zu Beginn auch für mich festgelegt, dass FAs am Wochenende erlaubt sind. Dass ich einen FA haben kann, wenn ich möchte. Und interessanterweise hatte ich dann oft am Wochenende gar keine Lust mehr darauf. Auch hier kam das paradoxe Phänomen zum Tragen, das man auch in anderen Bereichen der Bulimie wiederfindet: Was verboten ist, das wird so interessant und faszinierend, dass man fast keine Kontrolle mehr darüber hat. Sobald man es sich aber bewusst erlaubt, verliert das "Objekt" (wie hier der FA) seine Faszination. Es ist wie ein Schleier, den man davon entfernt und erkennt, dass es gar nicht so spannend und toll ist, wie man vorher dachte. Man fängt nämlich plötzlich an, sich dieses Objekt genauer anzuschauen, in dem Fall den FA: Ist es das jetzt wirklich wert? Ist es das wert, dass ich diese ganze Zeit dafür aufwende, dann mich danach vielleicht übergeben muss (für diejenigen, die es genauso ungern gemacht haben wie ich) und mich danach total ausgelaugt und k.o. fühle? Was genau will ich gerade wegdrücken und betäuben - wäre es nicht viel besser, mich damit direkt auseinanderzusetzen, um etwas Belastendes endlich aus der Welt zu schaffen?

Diese ganzen Fragen haben sich mir nach dieser Entscheidung gestellt. Indem ich mir ganz klar gemacht habe, dass es ab sofort einfach kein Übergeben mehr gibt, dass es keine Option mehr ist, wurden wie bei einem Domino-Effekt viele kleine Schritte angestoßen, die mir letztlich den Weg in die Heilung geebnet haben. Ich wünsche dir, dass du auch diesen Mut hast!

Samstag, 5. Oktober 2019

Andere enttäuschen - Warum das so wichtig ist

Ist euch schonmal aufgefallen, dass der Begriff "Enttäuschung" eine ganz besondere Bedeutung hat? Aufgrund seiner Wortherkunft hat er nämlich eigentlich gar keine negative Bedeutung. Er bedeutet einfach nur, jemanden zu ent-täuschen, also ihm die Täuschung der eigenen Person zu nehmen. Das ist ja im Grunde nichts schlechtes, denn so hat derjenige die Möglichkeit, die wahre Person hinter dieser Maske wahrzunehmen.

In der letzten Zeit ist mir persönlich immer wieder ein Thema nahe gegangen, und zwar ein persönliches. Es geht dabei darum, dass Menschen aus meinem Umfeld in einem gewissen Bereich enttäuscht von mir sind, da ich mich für einen Lebensweg entschieden habe, den sie nicht gutheißen. Dabei ist mir lange Zeit gar nicht aufgefallen, dass sie das enttäuscht hat. Sie haben es mir nur so offen gezeigt. Nun kam es aber dazu, dass sie es mir ganz offen gesagt haben, als sich ein "passender" Zeitpunkt ergeben hat.

Nun ja, ich habe also lange überlegt, wie ich ihnen meine Entscheidung erklären soll, oder wie ich ihre Enttäuschung verringern könnte. Wie ich ihnen eine "Brücke bauen" kann, so dass wir uns aufgrund der entstandenen Distanz wieder annähern können. Mittlerweile habe ich aber erkannt, dass sie es einfach nicht akzeptieren können, und dass ich meine Aufgabe in dieser Situation auch erfüllt habe- was sie mit der Situation anfangen, liegt jetzt ganz allein bei ihnen.

Das meine ich mit Enttäuschung - sie wissen jetzt Bescheid und können sich selbst überlegen, ob sie weiter damit hadern oder ob sie es akzeptieren. Ob sie mich dafür verurteilen oder eben nicht - es liegt jetzt nicht mehr in meiner Hand. Selbst wenn sie mich jetzt abwerten, kann ich zu meinen Entscheidungen stehen - denn es ist nach wie vor mein Leben, nicht ihres. Ja, natürlich gibt es zwischen Menschen auch immer eine Beziehung, weshalb es sie auch betrifft, aber das ändert nichts daran.

Das hat in meinen Augen auch rein gar nichts mit Egoismus zu tun - sondern vielmehr damit, Grenzen zu setzen. Zu erkennen: Das kann ich tun, und über dies und jenes habe ich einfach keine Macht. Zum Beispiel darüber, wie sie meine Entscheidungen bewerten. Diese Haltung kann vieles vereinfachen und bestimmt auch viele unnötige Sorgen vermeiden. Und sicherlich auch viel Verbiegen, weil man Angst davor hat, wie man und seine Entscheidungen von anderen bewertet werden.

Samstag, 28. September 2019

Ein Weg, seine Angst loszuwerden

Neulich habe ich von einem sehr spannenden Ansatz zu Ängsten gelesen, es war ein Ansatz des Psychologen Alfred Adler. Dabei ging es darum: Ängste entstehen nicht einfach so, sondern werden produziert, um etwas nicht machen zu müssen. Das bedeutet beispielsweise, dass jemand, der sich zuhause in seiner Wohnung isoliert und nicht mehr nach draußen geht, irgendwann früher oder später, auch eine Angst davor entwickelt, seine Wohnung zu verlassen. Von nun an hat er auch eine Begründung dafür, warum er seine Wohnung nicht mehr verlassen kann - seine Angst.

Genau so erklärt er auch andere Ängste - aus dem fehlenden Mut, sich einer Herausforderung nicht stellen zu müssen. Wie im Fall oben die soziale Angst entsteht - aus dem fehlenden Mut, sich den Herausforderungen zu stellen, die sich im sozialen Miteinander gezwungenermaßen ergeben, wählt derjenige den scheinbar einfachen Weg und verkriecht sich in seine Wohnung. Das zugrundeliegende Problem ist also nicht die Angst, sondern der nicht vorhandene Mut.

Die Lösung bei diesem Ansatz, also der Weg, die Angst aufzulösen, liegt also darin, den Mut aufzubringen und zu verstehen, dass man auch nur dann wachsen und sich weiterentwickeln kann, wenn man den Herausforderungen - wie auch immer diese aussehen mögen - des Lebens mutig begegnet.

Bei meinen Überlegungen zu diesem Ansatz ist mir auch wieder mal aufgefallen, dass ich meine größten "inneren Wachstumsschübe" immer dann gemacht habe, wenn ich mich solchen großen Herausforderungen gestellt habe. Das Gefühl, so eine Herausforderung erfolgreich gemeistert zu haben, ist einfach unbeschreiblich und gibt natürlich auch dem Selbstwertgefühl einen enormen Schub.

Das Schönste, was eine Fee einem Kind in die Wiege legen kann, sind Schwierigkeiten, die es überwinden muß. - Alfred Adler

Übrigens: Der Ansatz Alfred Adler´s nennt sich Individualpsychologie, und weil ich ihn äußerst spannend und sinnvoll finde, werdet ihr sicherlich an anderer Stelle nochmal mehr darüber lesen können. Ich sehe darin auch große Überschneidungen zu Ansätzen von Seneca und anderen Stoikern bzw. der Achtsamkeitsbewegung, von denen ich ebenfalls sehr überzeugt bin, dass sie Betroffenen helfen können.

Samstag, 21. September 2019

Mythbusting: Warum du deine Vergangenheit nicht aufarbeiten musst, um die Bulimie loszuwerden

Moment mal, hab ich mich verschrieben in der Überschrift - Ich muss meine Vergangenheit nicht aufarbeiten, um die Bulimie loszuwerden? Genau, das musst du nicht. Und natürlich werde ich dir auch gleich erklären, warum.

Zunächst mal basiert die Vorstellung davon, das Vergangene aufzuarbeiten und zu verstehen, auf der Annahme, dass die Zukunft nur dann gelingen kann, wenn die Vergangenheit verstanden wurde. Warum waren meine Eltern so und warum haben sie sich so und so verhalten. Warum hat mir XY dies und das angetan. Warum habe ich mich damals so und so verhalten. Nach dem Motto "Nur wenn ich die Vergangenheit verstanden und bewältigt habe, kann ich die Zukunft wirklich angehen".

Meiner Meinung ist das zwar vielleicht in gewisser Hinsicht interessant, mehr über die Zusammenhänge in der Vergangenheit zu erfahren, aber nicht relevant für das Überwinden der Bulimie. Es reicht in meinen Augen völlig, sich mit seiner Vergangenheit zu versöhnen. Sich nicht zu fragen: "Warum haben sich meine Eltern so und so verhalten?" - sondern sich vielmehr zu fragen: "Wie kann ich meinen Eltern verzeihen, obwohl sie sich so und so verhalten haben?"

Bulimie hat immer eine Ursache, sie hat sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in dein Leben eingeschlichen, als sie es einfach hatte, sich dort festzubeißen. Krankheiten können sich auch nur dann ausbreiten, wenn dein Immunsystem zu schwach ist, um den Erreger abzuwehren. Irgendein bestimmter Umstand, ein gewisses ungesundes Denken hat es der Bulimie und dem entsprechenden Gedankengut zu diesem Zeitpunkt einfach gemacht, in dein System, sich in deinen Gedanken einzunisten. Weil du damals zu schwach warst, um diese Gedanken, diese Verhaltensweisen schnell genug wieder abzuwehren, hat sie sich richtig festgesetzt und ist eben jetzt immer noch da.

von Khadeeja Yasser / unsplash.com

Das heißt nicht, dass du jetzt, Jahre später, nochmal etliche Jahre damit zubringen musst, nach der "wahren Ursache" zu forschen - aus einem einzigen Grund: alles, was du dir jetzt im Nachhinein konstruierst, wird immer auf Annahmen und verzerrten Erinnerungen basieren. Das liegt nicht dir, sondern daran, dass jeder Mensch nur Bruchstücke erinnert und alle Erinnerungen persönlich eingefärbt sind. Manchmal glauben wir sogar, etwas erlebt zu haben, weil wir Vorstellungen und Wirklichkeit im Nachhinein vermischen - das macht jeder, weil es unser Gehirn nur aufgrund von Verallgemeinerungen und Vereinfachungen und "Schubladendenken" funktionieren kann und nur so die Millionen von Informationen, die wir jeden Tag neu bekommen, überhaupt nur sinnvoll einordnen und verarbeiten kann.

Jetzt kommen wir aber zum wirklich wichtigen, interessanten Teil: Was du stattdessen machen kannst. Dazu möchte ich wieder auf meinen aktuellen Lieblingspsychologen Alfred Adler zurückkommen. Dieser spricht davon, dass wir alle psychischen Störungen loswerden können, wenn wir nur genug Mut aufbringen und uns unseren Herauforderungen in den Bereichen "Lebensaufgaben" angehen: das sind Arbeit, Liebe und Gemeinschaft. Wenn wir versuchen, eine oder mehrere dieser Bereiche zu ignorieren oder als nicht wichtig erachten, dann werden wir seiner Meinung nach ein Ungleichgewicht entwickeln, das wir psychisch versuchen auszugleichen - dadurch entstehen nach diesem Ansatz psychische Störungen.

Dieser Ansatz von Adler ist nur einer von vielen, die alle davon ausgehen, dass unsere Vergangenheit nicht unsere Zukunft bestimmt. Du hast es zu jedem Zeitpunkt selbst in der Hand, deine Zukunft anders zu gestalten als die Vergangenheit, du musst nur den Mut aufbringen, es auch zu tun.

Donnerstag, 19. September 2019

Warum ich nichts von Essprotokollen halte

Es gibt in der herkömmlichen Therapie für (bzw. gegen) Bulimie Essprotokolle, die Betroffene schreiben sollen, um sich einen Überblick über ihr Essverhalten zu verschaffen. Teils werden diese Protokolle auch mit den Behandlern geteilt, damit diese einen Einblick bekommen. Essprotokolle sollen beispielsweise auch dabei helfen, bestimmte Situationen zu identifizieren, in denen vermehrt Essanfälle passieren. So hat jemand beispielsweise Angst vor einem Treffen mit anderen Leuten, und bekommt darum vorher einen Essanfall. Dann kann im Nachhinein der Schluss gezogen werden, dass vermutlich diese Angst vor dem Treffen zu dem FA geführt hat.

In dem Protokoll sollen alle Mahlzeiten notiert werden. Außerdem wird notiert, ob andere Personen anwesend waren, an welchem Ort ich gegessen habe, zu welcher Uhrzeit und natürlich was genau und wieviel davon. Auch die Gefühle zum Zeitpunkt der Mahlzeit und danach werden aufgeschrieben.

Diese Methode ist relativ verbreitet und wird auch in vielen auf Essstörungen spezialisierten Kliniken so angewendet.

von Jan Kahanek / unsplash.com

Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich diese Methode nie wirklich konsequent selbst angewendet habe. Wie der eine oder andere Leser vielleicht weiß, war ich nur einmal für wenige Wochen in einer Klinik und meine Besuche bei Psychologen kann man an einer Hand abzählen. Also habe ich diese Methode nie wirklich für mich entdeckt. Es hat aber auch einen bestimmten Grund, warum ich später, als ich die "Behandlung" meiner Bulimie selbst in die Hand genommen habe, nicht zu Essprotokollen gegriffen habe.

Warum habe ich mich also dagegen entschieden? Es gibt zwei wirklich größere Gründe dafür:

1) Kontrolle


Kann gestörtes Verhalten wirklich durch Kontrolle wieder normalisiert werden? Das glaube ich nicht. Mir ging es damals zunächst darum, wieder ein Gefühl für mein Essen und die Mengen zu entwickeln. Dafür brauche ich niemanden, der mir sagt, dass 500 Gramm Brot zum Frühstück zu viel sind - das weiß ich selbst. Und wenn ich mich entscheiden sollte, trotzdem so viel zu essen und es okay für mich ist - dann soll mir bitte auch niemand vorwerfen, dass ich so viel esse. Ich möchte nicht, dass jemand mein Essen beurteilt und bewertet. Denn wenn ich aus der Bulimie rauswill, dann entwickle ich meine eigenen Strategien und Vorgehensweisen, und wenn da 500 Gramm Brot zum Frühstück für eine Weile dazugehört, dann ist das eben so (bei mir war es übrigens wirklich so, und so bin ich auch gesund geworden. Nicht weil ich soviel gegessen habe, sondern weil ich dadurch eine "Strategie" entwickeln konnte, die zu mir gepasst hat). Wenn ich dann bis abends auch keinen Appetit mehr habe und das Mittagessen auslasse - so what? Ich möchte experimentieren, wenn ich in dieser Situation bin und mir kein Korsett anziehen lassen mit so einem Protokoll. Mir hätte das damals in keinem Fall geholfen, sondern es hätte Hass und Wut ausgelöst, weil ich nicht meine eigenen Strategien entwickeln darf.

Dieser Punkt kann gar nicht genug betont werden. Lasst euch von anderen nicht sagen, was ihr wann und wieviel davon essen sollt! Findet es selbst raus.

2) Bewertung durch Leute, die nicht unbedingt Ahnung von Ernährung haben


Von wem wird so ein Essprotokoll bewertet - oft sind es Psychologen, denen ganz essentielles Wissen in Bezug auf Ernährung fehlt. Wenn es andersrum ein Ernährungsberater ist, der es bewertet, dann fehlt ihm das Wissen in psychologischen Bereichen und er kann keine validen Schlüsse aus dem Protokoll ziehen. Wenn ich niemanden habe, der das Protokoll vernünftig auswerten und mir erklären kann - für wen schreibe ich es dann? Mal als Beispiel: Vor etlichen Jahren, als ich noch betroffen war, habe ich das Buch "Zucker und Bulimie" von Inke Jochims gelesen. Darin werden die neurochemischen (suchtähnlichen) Vorgänge erklärt, die v.a. von einfachen Kohlenhydraten (Zuckern) ausgelöst werden. Dieses Wissen ist leider immer noch nicht bei der breiten Masse angekommen. Ein Psychologe würde viele vermutlich auslachen, wenn sie erzählen würden, dass sie von bestimmten Lebensmitteln nahezu abhängig sind, auch wenn diese Zusammenhänge mittlerweile sehr gut erforscht sind. Auch generell rate ich sehr dazu, über Dinge nur mit Leuten zu reden, die selbst Experten auf dem Gebiet sind. Und ein Psychologe ist kein Experte in Ernährungsdingen, das muss jedem klar sein.

So - meine abschließende Meinung dürfte gut rübergekommen sein - ich halte rein gar nichts von Essprotokollen und habe das auch noch nie getan. Es gibt mittlerweile auch digitale Essprotokolle, die natürlich auf dem gleichen Prinzip basieren und in meinen Augen nicht zielführend sind. Falls euch jemand die Methode vorschlägt, dürft ihr das ja gern ablehnen und einen besseren Vorschlag machen: Experimentieren mit Mahlzeiten auf eigene Faust wäre mein Vorschlag :)

Montag, 16. September 2019

Arte - Doku: Welchen Einfluss hat Essen auf unsere Entscheidungen?

Diese tolle Doku von Arte muss ich unbedingt mit euch teilen:


Hier noch die Beschreibung der Dokumentation: 

"
[...] Du bist, was du isst! Seit jeher stellt der Volksmund einen engen Zusammenhang zwischen Ernährung und Verhalten her. Forschungsarbeiten in aller Welt belegen derzeit, dass sehr viel Wahres in diesen alten Weisheiten steckt. [...] Und in Deutschland hat eine Psychologin der Universität Lübeck nachgewiesen, dass die Zusammensetzung des Frühstücks das soziale Verhalten beeinflusst. [...] Neuro-Nutrition heißt der Wissenschaftszweig an der Schnittstelle zwischen Neurologie und Ernährungswissenschaft [...] Viele Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass die Auswirkungen ungesunder Ernährung auf das Gehirn mitverantwortlich für die hohe Zahl übergewichtiger Menschen in den westlichen Industrieländern sind [...]"

Samstag, 14. September 2019

Warum du die Angst vor dem Alleinsein überwinden musst

Viele haben heute ja Angst davor, alleine zu sein. Man lässt sich auch sehr leicht vom Smartphone oder irgendwelchen anderen Banalitäten ablenken. Dabei liegt genau im Alleinsein eine ganz besondere Kraft, ein großes Potenzial, um innerlich zu wachsen und seine Persönlichkeit zu entwickeln - was wiederum dazu führt, sich seiner  Bedürfnisse deutlicher klar zu werden.

Die Natur hat es für uns vorgesehen, dass wir uns prinzipiell gern in Gruppen oder mit anderen Menschen aufhalten. Extreme Isolation kann sogar zu psychischen Störungen führen. Jemanden ins Exil zu schicken oder in Isolationshaft zu nehmen, deutet schon stark darauf hin, dass das Abgeschnittensein von Anderen im Allgemeinen nicht sehr positiv ist, sondern eher als Bestrafung eingesetzt wurde bzw. immer noch wird.

von Noah Siliman / unsplash.com

Um Exil oder Isolationshaft soll es in diesem Artikel natürlich nicht gehen. Es geht vielmehr darum, dass schon die Vorstellung davon, ein paar wenige Tage alleine zu sein, bei vielen Menschen große Angst auslöst. Viele können sich nicht mehr vorstellen, nicht ständig irgendetwas nebenher laufen zu haben und sich passiv berieseln zu lassen.

Auch abends vor dem Einschlafen ist es für viele normal geworden, so lange vor dem Smartphone oder Laptop zu sitzen / zu liegen, bis einem die Augen zufallen. Dabei kann Alleinesein ohne diese ständige Berieselung auch einen inneren Zufluchtsort darstellen - den die meisten aber gar nicht mehr kennen.

Natürlich bedeutet Alleinsein auch gleichzeitig, dass andere Menschen nicht da sind - und damit fällt auch das weg, was uns oft daran hindert, tiefer in uns selbst hineinzublicken. Es ist die sog. "soziale Persona" - also eine Rolle, die wir im Zusammensein mit anderen Menschen zwangsläufig einnehmen. Dabei geht es gar nicht darum, dass wir uns verstellen. Wir müssen nur, um mit anderen Menschen auszukommen, uns nach außen hin fokussieren. Das hat gleichzeitig zur Folge, dass wir unseren Fokus von unserem Inneren weg richten. Dadurch schaffen wir es nicht, tief in unser Inneres einzutauchen, wenn wir unter Anderen sind.
"Der eine geht zum Nächsten, weil er sich sucht, und der andre, weil er sich verlieren möchte. Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der Einsamkeit ein Gefängnis." - aus Nietzsches "So sprach Zarathustra"
 Hier wird deutlich, dass jemand, der sich selbst hasst, natürlich nicht mit sich selbst alleine sein will.  Die wichtigen Erkenntnisse über das eigene Leben können nicht komplett von anderen Leuten kommen - sie müssen aus uns selbst kommen. Diese innere Stimme hören wir am besten, wenn wir alleine sind, und uns dabei nicht ablenken lassen.

Viele finden diesen Zugang zu sich selbst besonders gut in der Natur... bei einer längeren Reise, auf der man ganz alleine ist, bei einer Wanderung, ... In der Hinsicht will ich aber keine konkreteren Hinweise geben, denn jeder findet etwas eigenes. Bei mir war es mal eine längere Radreise, die relativ spontan war, aber an die ich immer zurückdenken werde. Ich habe sehr viel über mich selbst auf dieser Reise gelernt, aber was noch viel wichtiger war: ich konnte neue Zuversicht schöpfen, dass ich immer zu meinem inneren Zufluchtsort zurückkommen kann - jederzeit, ohne Restriktion. Das ist das beste Gefühl überhaupt, so einen inneren Anker zu haben.

Donnerstag, 22. August 2019

Eiweißmangel oder nur Lust auf Süßes?

Vor einiger Zeit habe ich gelesen, dass Eiweißmangel sich oft als Heißhunger auf Süßes äußert. Das hat mich ziemlich zum Nachdenken gebracht. Der Zusammenhang war mir zwar schon längere Zeit bewusst, allerdings habe ich es erst so richtig selbst gespürt, als ich einige Zeit mal unabsichtlich etwas weniger Eiweiß als sonst gegessen habe. Da konnte ich sofort den Unterschied zwischen dem Eiweißappetit und sonstigem Hunger erkennen.

Unterschied zwischen Appetit auf Eiweiß und Appetit auf Süßes


Der Eiweißappetit äußerte sich so, dass ich mir beim Gedanken an Eiweißhaltiges sofort das Wasser im Mund zusammenlief. Und beim Gedanken an Schokolade war das dann auch sofort wieder weg. Denn ich wollte ja etwas mit Eiweiß, und alles andere hätte mich in dem Moment nicht zufrieden gestellt.
Inzwischen ist auch alles wieder völlig normal und mein Appetit auf Eiweiß bewegt sich wieder im normalen Bereich. Trotzdem hat mich diese Erfahrung wieder darauf gebracht, weswegen ich das Thema hier eigentlich aufgreife: der Eiweißmangel bei Bulimie.

Warum sind Betroffene gefährdet, einen Eiweißmangel zu entwickeln?


Wie komme ich darauf? Nunja, Bulimie äußert sich ja nunmal in Heißhungerattacken. Während der restlichen Zeit ernähren sich die Betroffenen ja eher "zurückhaltend". Das heißt, das oft auf Lebensmittel zurückgegriffen wird, die nicht unbedingt reich an Eiweiß sind. Vielmehr werden eiweißhaltige Dinge eher vermieden. Es ist gut möglich, dass viele z.B. aufgrund des Buchs "Zucker und Bulimie" mittlerweile wissen, dass man mit Eiweiß oder Eiweißshakes den FAs vorbeugen kann, aber ob Betroffene das dann auch so machen, steht auf einem anderen Blatt.
Die herkömmlichen eiweißbetonten Lebensmittel wie Fleisch- und Wurstwaren, Fisch oder Käse sind entweder meistens Teil einer "richtigen Mahlzeit" (wie Fleisch, also schwierig) oder fetthaltig (Wurst oder Käse, wegen des Fetts auch schwierig). Andere Milchprodukte wie Joghurt sind nicht unbedingt stark fetthaltig, enthalten aber auch keine großen Mengen an Eiweiß. Zu den ganzen Überlegungen kommt noch hinzu, dass viele Betroffene vielleicht vegan oder vegetarisch sind, und aufgrund dessen viele Eiweißquellen für sich ausschließen.

Eine normale Ernährung, die den Eiweißbedarf deckt, ist bei Betroffenen aufgrund der Natur der "Sache" nicht gegeben. Hinzu kommt eine körperliche Komponente. Kohlenhydrate werden, auch abhängig von ihrer Komplexität, z.B. teilweise schon im Mund resorbiert. Wenn erbrochen wird, können also dennoch "wenigstens" oftmals schon ein paar Kohlenhydrate aufgenommen werden. Proteine hingegen werden zunächst aufgespalten und schließlich im Dünndarm resorbiert. Dahin gelangen sie oftmals jedoch durch das Erbrechen erst gar nicht. Dadurch kann bei Bulimie durchaus ein Eiweißmangel entstehen.

Es ist also relativ wichtig, den Unterschied zu kennen und mal bei sich zu beobachten, worauf sich der Appetit wirklich bezieht, auch um tatsächlich einen Eiweißmangel zu beheben - der unter anderem auch Essanfälle nach sich ziehen kann.

Samstag, 22. Juni 2019

Warum du dir große Ziele setzen solltest

Hast du schonmal darüber nachgedacht, was dich dazu motivieren könnte, den letzten Schritt aus der Bulimie zu gehen? Auf meinem eigenen Weg bis hin zum schließlich letzten Schritt ist mir vieles klar geworden. Dass viele meiner Ziele gar nicht meine eigenen waren. Dass ich in vielen Bereichen gar nicht wusste, was ich mir eigentlich für mein Leben vorstelle.

Irgendwann war mein Leben mit Bulimie so un-lebenswert geworden, dass ich in eine Depression gefallen bin. Erst in diesem Zustand wurde mir klar, dass ich so nicht weitermachen kann. Ich musste mir überlegen, wie mein Leben von nun an aussehen soll. In dieser Zeit beschäftigte ich mich viel mit sehr umfassenden Fragen, wie beispielsweise: Was will ich in dieser Welt verändern? Was will ich hinterlassen? Was sind meine Aufgaben in diesem Leben?

Ich bin der Meinung, dass kleine Fragen und vor allem "kleine Ziele" dir keine Motivation geben. Wenn du Geld sparen willst, wird es dich höchstwahrscheinlich nicht motivieren, wenn du einfach sagst: Ich will 100 EUR sparen. Stattdessen setzt du dir ein Ziel von 10.000 oder 100.000 EUR. Am besten noch verknüpft mit einer bestimmten Aktivität - du willst dir ein Jahr Auszeit gönnen oder dir ein Haus kaufen. Was auch immer - mit kleinen Zielen sperrst du dich selbst ein - und vor allem funktionieren sie nicht.

Darum: Denk darüber nach, was die Welt gewinnen könnte, wenn du frei in ihr "wirken" könntest. Du könntest deine Energie für Dinge einsetzen, die dir wirklich etwas bedeuten. Sei es für die Natur, deine Mitmenschen, deine Familie, für dein ganz eigenes Projekt. Welche Aufgabe wurde dir mitgegeben?

Donnerstag, 20. Juni 2019

"Symptomfrei", aber nie geheilt?

Obwohl ich nun die Bulimie schon sehr viele Jahre überwunden habe, bin ich immer mal wieder im Internet auf der Suche nach Erfolgsgeschichten. Einfach um zu schauen, ob es vielleicht neue Ansätze und Strategien gibt.

Dabei bin ich immer wieder auf Aussagen gestoßen (sowohl von Fachleuten als auch von ehemals Betroffenen), dass Bulimiker nicht vollständig geheilt werden, sondern nur symptomfrei werden können. Als Begründung soll herhalten, dass die Gedanken angeblich immer noch ums Essen und Gewicht kreisen, auch wenn man keine klassischen Symptome wie FAs mehr hat.

Das halte ich gelinde gesagt für völligen Schwachsinn. Und ja, ich eigne mich als besten Beweis dafür, dass eine Heilung möglich ist. Ich kann mittlerweile, viele Jahre später, z.B. abends nicht mehr hundertprozentig sicher sagen, ob und was und wieviel ich gefrühstückt habe. Teilweise vergesse ich das Essen sogar. Aber nicht aus dem Grund, weil ich es verhindern möchte, nein - ich habe mittlerweile Besseres zu tun. Nämlich zu leben. Weder versuche ich, mich extrem gesund zu ernähren, noch, meine Nahrung anhand ihres Energiegehalts auszuwählen. Ich esse einfach das, wonach mir ist und wonach mein Körper und meine Seele verlangen. Dabei kann es sein, dass ich mal Lust auf eine Bratwurst habe und am nächsten Tag auf einen großen Salat.

Auch wenn es für viele Außenstehende vielleicht nicht nachzuvollziehen ist - als Mensch ist man durchaus dazu in der Lage, sein Leben komplett umzukrempeln und sozusagen "auf links zu drehen". Man kann Gewohnheiten ablegen und, vor allem als junger Mensch, sich ein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen erschaffen. Ganz ehrlich? Ich kann diese vorgefertigten Meinungen darüber, wie irgendwas sein kann, wirklich nicht mehr hören. Vor allem auch nicht von Leuten, die selbst aus der Bulimie kommen.

"Heilung ist nicht möglich, die Bulimie wird immer in deinem Kopf bleiben" - Bitte, löscht diesen Satz aus eurem Kopf. Ersetzt ihn durch "Heilung für dich ist möglich, und du wirst ein Leben in Fülle führen und dich so ernähren, wie du es magst"!

Und auch mal ganz "wissenschaftlich" gemäß meines auch sonst hier im Blog vertretenen Ansatzes: Durch die Neuroplastizität unseres Gehirns, also seine Fähigkeit sich strukturell anzupassen, so dass Veränderungen und neue Gewohnheiten sich auch bildhaft darstellen lassen, ist ein Zurück auch gar nicht mehr so einfach möglich. Selbst wenn ich es jetzt wollte, könnte ich gar keinen FA wie damals mehr haben, ganz einfach, weil die Sucht in meinem Gehirn gar nicht mehr abgebildet ist. Bulimie mag man vielleicht als stoffgebundene Sucht einordnen, aber anders als Alkoholismus ist sie nicht ein Leben lang "aktiv".

Ja, es gab durchaus schon Momente und belastende Situationen, aus denen ich mich gern kurz und scheinbar leicht mithilfe eines Essanfalls flüchten wollte - aber im selben Moment intuitiv wusste, dass diese Zeit für mich einfach rum ist. Dass ich die ganzen Schmerzen, den ekligen Geschmack im Mund, das widerliche Körpergefühl danach und vor allem den Ekel vor mir selbst dafür niemals wieder in Kauf nehmen will. Nachdem mir das klar war, war es für mich dann auch immer an der Zeit, das als eindeutiges Signal zu werten, mal kurz innezuhalten und mich zu fragen, was eigentlich gerade los ist. Und auch zu merken, dass ich mittlerweile gute Methoden innehabe, die mir wirklich konstruktiv aus der Situation raushelfen, ohne mich dabei komplett zu betäuben und die mich stattdessen an diesen Herausforderungen wachsen lassen.

Das wünsche ich auch dir - dass du irgendwann an diesem Punkt bist, an dem du merkst: Es ist völlig egal, was ich mit dieser Situation mache - Hauptsache, ich flüchte mich nicht in einen Essanfall. Sehe die Situation stattdessen auch mal als Experiment, um neue Handlungsstrategien zu erproben, um dann beim nächsten Mal einfacher damit umgehen zu können.