Donnerstag, 4. Februar 2021

Warum normal nicht gleich gesund ist - und warum ein gesundes Essverhalten nicht normal sein muss

In den letzten Jahren habe ich immer wieder darüber geschrieben, dass ich von den bei uns gängigen 3 Mahlzeiten (und insbesondere von den meist empfohlenen Zwischenmahlzeiten) so rein gar nichts halte. Die Gründe dafür liegen für mich auf der Hand: Bei zu vielen Gelegenheiten gibt es einerseits umso mehr Risiken, dass die Mahlzeit in einen FA abgleitet, und andererseits ist es für den Körper tatsächlich nicht gesund, ständig etwas verdauen zu müssen. Ich denke bei solchen Gedankenspielen "Ist es wohl gesund oder nicht" immer an unsere Vorfahren zurück, die auch nicht immer auf eine prall gefüllte Vorratskammer zurückgreifen konnten und die wohl damals noch ziemlich gut in der Lage gewesen sein mussten, dennoch schnell genug vor dem angreifenden Säbelzahntiger zu flüchten. Naja. Letzlich ist der Grund natürlich, dass ich persönlich mit einer anderen Ernährungsweise besser klarkomme.

Aber das nur als Einleitung. Denn ich bin vor kurzem auf einen Artikel mit der Überschrift "Frühstücken ist das neue Rauchen" gestolpert und ich dachte mir nur: Halleluja, endlich mal ein sinnvoller Ernährungsratschlag. Auch wenn es im Grunde gar nicht um das Frühstück geht, sondern  darum, kulturell fest verankerte Essgewohnheiten in Frage zu stellen, so war ich doch sehr erfreut darüber, dass anscheinend die Idee in der breiten Gesellschaft anzukommen scheint, dass es bei gesundem Essverhalten nicht darum geht, alles genau so zu adaptieren, wie es eben die Norm ist - wie beim Frühstück.

Klar, ich habe jahrelang sehr gut damit gelebt, öfter mal abends nichts mehr oder wenig zu essen (weil eine verlängerte "Fastenperiode" über Abend und Nacht die Zellteilung und damit die Alterung und das Wachstum von entarteten Zellen hemmt), musste mir dafür aber auch oft kritische Kommentare anhören, à la "Aha, sie hat ja immer noch essgestörte Tendenzen". Dass es aber darum geht, dass jeder ehemals Essgestörte seinen eigenen Rhythmus finden muss, sich in der Zwischenzeit auch mit eher ungewöhnlichen Formen des Essverhaltens beschäftigt hat (Stichwort Intermittierendes Fasten, Dinner Cancelling, vegane Ernährung, etc.) und dann irgendwann auch den für sich passenden Weg gefunden hat - und sich dieser dann womöglich auch von der kulturellen Norm unterscheidet - das wird dabei nicht gesehen, und dementsprechend auch nicht als persönliche Leistung anerkannt. Auch wenn es das meiner Meinung nach definitiv ist, denn es zeugt von sehr viel Willen, an sich selbst zu arbeiten und sich weiterzuentwickeln, den eigenen Körper beobachten zu lernen und letztlich von sehr viel Optimismus und Lebensfreude.

Und ja, ich möchte tatsächlich auch eine Lanze brechen für all diejenigen, die mit der Ernährung experimentieren und sich nicht mit dem abgeben, was von außen auf sie einströmt. Die nicht irgendwelche strikten Ernährungspläne übernehmen, sondern die sich selbst auf die Suche begeben und Dinge einfach mal ausprobieren. Wobei ich an dieser Stellen auch anmerken möchte, dass man für diesen Schritt natürlich auch bereit sein muss - vielen helfen möglichst genaue Essenspläne ja auch, vor allem in einem frühen Stadium der Heilung. Das ist klar. Aber ob Gluten mir gut tut oder nicht, ob ich mit veganer Ernährung leistungsfähiger bin oder nicht, und ob Milchprodukte bei mir verstärkt zu FAs führen oder nicht, das kann ich doch nur herausfinden, wenn ich es ausprobiere. Und an diesem Ausprobieren kann ich tatsächlich nichts Schlimmes finden - im Gegenteil.

Wichtig ist hier dennoch, dass man irgendwann zu einem sicheren Essverhalten findet, das einem eben auch die Geborgenheit und die Sicherheit gibt, die Essen geben kann. Damit meine ich die gesunde Geborgenheit, nicht die falsche, nicht die kontrollierende. Wichtig ist, dass diese Suche nicht zu einer generellen Verunsicherung führt. Die Suche ist richtig und wichtig, wenn der Weg des Experimentierens mit Genussmomenten gepflastert ist, mit neuen Entdeckungen, und wenn sie letztlich zu einem individuell guten Essverhalten führt, das Körper und Geist nährt.

Was bedeutet "normal" im Bezug auf das Essverhalten? Vor vielen Jahren habe ich mich mit dieser Frage beschäftigt und kann heute ganz bestimmt darauf antworten: Normal ist das, was sich im Rahmen der Norm befindet - also das, was der Durchschnitt denkt und macht. Eine Norm ist somit immer ein gesellschaftlich verankertes Phänomen und hat mit dem, was ich persönlich fühle und möchte, zunächst mal rein gar nichts zu tun. Es ist für mich nur ein Orientierungsmaßstab - und wenn ich sehe, ich weiche davon ab, dann ist das in meinen Augen keine Wertung, sondern in allererster Linie erstmal eine Feststellung. Also ist auch ein "normales Essverhalten" nicht gut oder schlecht - es ist nur das Essverhalten des Großteils unserer Gesellschaft.

Man könnte den Gedanken natürlich auch weiterführen und würde dann feststellen, dass ein Großteil unserer Gesellschaft ja auch übergewichtig ist, unter chronischen Krankheiten leidet und dass diese Phänomene auch wiederum auf das Essverhalten zurückzuführen sind. Also gibt es für mich überhaupt keinen Grund, dieses normale Essverhalten anzustreben, da ich ja sehe, dass es nicht immer gut und gesund sein kann.

Darum ist es eben unerlässlich, dass sich jeder mit Essstörung auch ganz persönlich mit der Frage auseinandersetzt, welche Art der Ernährung ihm gut tut, und dass dies nicht nur ein Gedankenspiel bleiben kann, sondern dass das Suchen nach diesem individuell guten Essverhalten auch viel Experimentieren beinhalten sollte, denn nichts ist so wertvoll wie die eigene Erfahrung.