Ich habe ja schon mehrere Male (hier und hier) über die Wichtigkeit der Fähigkeit des Grenzensetzens berichtet. Aber warum hat genau diese Fähigkeit bei Bulimie so eine immense Bedeutung?
Und warum komme ich nun wieder auf dieses Thema zurück?
Vor einiger Zeit bin ich auf eine Studie gestoßen, der zufolge Bulimiker besonders schlecht darin sind, ihren Ärger nach außen hin zu kommunizieren und innerlich zu verarbeiten. Da Bulimiker jedoch noch in besonders großem Maße für Ärger empfänglich sind (die entsprechenden Hirnareale sind bei Bulimikern größer), da sie sich darauf "trainiert" haben, ihn zu erkennen und eher auf negative als auf positive Gefühlsregungen ihrer Umwelt achten, ist der Druck, mit diesen Gefühlen umzugehen, noch höher als bei Gesunden. Es kommen also mehr negative Gefühle beim Bulimiker an.
Die Unfähigkeit, Ärger Ausdruck zu verleihen (in der Studie wird von "reaktivem Ärger" gesprochen) leiten Bulimiker in Symptome im Essverhalten um. Sie müssen also den emotionalen Druck irgendwie verarbeiten, da das Gehirn nach einem Ausgleich verlangt und reagieren mit einem Essanfall, der die Gehirnchemie wieder ins Gleichgewicht bringt.
Andere Forscher, die in der Studie genannt werden, vermuten einen Zusammenhang zwischen der Fähigkeit, Ärger Ausdruck zu verleihen und anderen sozialen Fähigkeiten, insbesondere dem Grenzensetzen.
Die Studie geht davon aus, dass Bulimiker bereits auffällig oft in ihrer Kindheit Grenzüberschreitungen erleben mussten und daher oft nicht gelernt haben, selbst Grenzen zu setzen. In diesem Forum stellt sich jemand sogar die Frage, ob ein Mangel dieser Fähigkeit sogar diejenigen ausmacht, die später an Bulimie erkranken (im Gegensatz zu jenen, die gesund bleiben). Weitere Erkenntnisse zeigen, dass Bulimiker auf Andere häufig ablehnend und sogar feindselig reagieren. Dadurch behindern sie sich selbst darin, soziale Akzeptanz zu erfahren und positive Erfahrungen in der Gemeinschaft zu machen, was die mangelnde soziale Kompetenz noch verstärkt und oftmals dazu führt, sich solchen potenziell gefährlich Situationen erst gar nicht mehr auszusetzen, sondern sie zu vermeiden.
Was ist nun das Fazit dieser Vielzahl an - vielleicht nicht unbedingt neuen - Erkenntnissen? Dass der Hase im Umgang mit Gefühlen begraben liegt. Den Gefühlen Anderer und den eigenen Gefühlen, die wiederum oft nur eine Reaktion auf die Gefühle der Anderen sind. Dass das bulimische Verhalten dazu führt, ängstlich zu werden und negative Reaktionen Anderer frühzeitig erkennen lässt bzw. Reaktionen falsch interpretiert.
Dass Bulimie oftmals auch mit einem Mangel an sozialer Kompetenz einhergeht, die -und das ist jetzt meine eigene Erfahrung- in einem Teufelskreis mündet. Wenn man immer wieder versucht, sich soziale Fähigkeiten anzueignen, in sozialen Situationen aber wiederum wiederholt schlechte Erfahrungen macht, dann neigt man dazu, diese Situationen zu vermeiden- und der Kreis schließt sich. Dabei kann es auch oft einfach nur daran liegen, dass man selbst die Anderen verzerrt wahrnimmt. Sie erscheinen in ihren Reaktionen auf die eigene Person weitaus negativer als sie es in Wirklichkeit sind. Aber wenn man einen Schritt zurückgeht, wird man feststellen, dass man mit seiner Einschätzung falsch liegt und sie einen sogar mögen und man das einfach nicht sehen kann. Das ist mir selbst in der Vergangenheit übrigens sehr oft passiert. Ich war hyperkritisch und ging lieber davon aus, dass mich niemand mag, anstatt mir "anzumaßen", dass ich liebenswert sein könnte.
Wie sind eure Erfahrungen damit? Habt ihr an euch schonmal bemerkt, dass ihr nach sozialen Situationen besonders oft FAs habt oder habt ihr das Gefühl, dass ihr euch nicht richtig "wehren" oder Grenzen setzen könnt? Fände es sehr interessant, eure Meinungen zu hören.