Gute Frage. Gar nicht so einfach zu beantworten, denn sonst wäre die Heilung ja auch nicht so schwierig, wenn es darauf eine leichte Antwort gäbe....
Ich möchte mal damit beginnen: jeder braucht seine Zeit, das ist von Mensch zu Mensch verschieden, so wie sich ein Mensch vom andern unterscheidet. Aber es braucht seine Zeit, das können schon mal einige Jahre sein. Das soll aber nicht heißen, dass es eine unglaublich schlimme und entbehrungsreiche Zeit ist, diese Zeit der Heilung.
Es ist schon eine schwierige Zeit. Man muss sich von altem und, auch wenn es sich makaber anhört, von liebgewonnenen Ritualen trennen. Dieses Essanfälle geben doch Sicherheit, lassen es zu, dass man sich für die Dauer des Anfalls von seinen Sorgen entfernt, so wie ein Alkoholiker sich in seinen Rausch flüchtet, so flüchtet sich der Bulimiker in seinen Anfall. Mit der Schaffung seiner Sucht hat er sich seine Art geschaffen, der harten Realität, dem anstrengenden Alltag zu entkommen. Dass das auf die Dauer aber eben nicht funktioniert, das realisiert der Bulimiker erst nach Jahren der erfolgreichen Kompensation und Betäubung durch das Überessen.
Tja, genau zu diesem Zeitpunkt, oder besser gesagt, diesen Zeitpunkten, denn leider habe ich es nicht sofort geschafft, aus der Bulimie auszusteigen, ja genau da, habe ich es verstanden, dass es eine unzureichende und nicht artgerechte Haltung meines Körpers und meiner Seele ist, mich durch diese Fressanfälle runterzubringen. Und erst dann kann der Heilungsprozess beginnen. Ich sage beginnen, denn der Heilungsprozess passiert eben nicht Schlag auf Schlag, und zack, dann ist man plötzlich gesund. Zum Glück, muss ich heute sagen. Ich musste enorm viel lernen, in meiner Entwicklung im Umgang mit mir selbst war ich altersmäßig hinterher, aber auch im Umgang mit anderen hatte ich viel aufzuholen....
Was musste ich lernen? Wenn man das so detailliert beschreiben kann, dann gehört sicherlich Geduld mit dazu. Geduld, das bedeutete in meinem Fall, die Konzentration auf eine Beschäftigung. Ich war vorher ständig "auf dem Sprung", während dem Fernsehen habe ich gleichzeitig eine Zeitschrift durchgeblättert, während dem Kochen einen Film gesehen. Geduld, damit meine ich auch, mit sich selbst geduldig zu sein, Motivation aufbringen, sich selbst die Zeit zu geben, die man zum Lernen braucht.
Außerdem musste ich lernen, auf mich selbst zu hören, und zwar nicht nur auf meinen Körper, sondern auch auf meinen Bauch! Das ist natürlich metaphorisch gemeint. Intuition, was heißt das für mich. Irgendwo habe ich einmal gehört, Intuition setze sich aus der Masse der eigenen Erfahrung zusammen. Das klingt für mich logisch. Also versuche ich, mehr auf meine Intuition zu hören, sollte ich dies und jenes eher tun oder sein lassen. Das ist aber auch nicht so einfach. Denn gerade weil man als Bulimiker vieles verdrängt, vieles ablehnt, weil es Mühe bedeutet, sollte man doch trotzdem nachdenken, ob manches nicht doch besser wäre, wenn man es einmal ausprobiert. Es geht auch darum, sich neue Sachen anzugewöhnen, die für einen selbst besser sind. Und eben genau dann kann ich wiederum nicht auf meine Intuition hören, weil dafür eben noch keine Erfahrungswerte "abgespeichert" sind.
Würde ich beispielsweise immer auf meinen Bauch hören, wenn es um die Frage geht "Fressen oder nicht", würde mein Bauch ja immer für "ja, fressen" stimmen. Genau das will ich mir ja aber abgewöhnen.
Hier ist es wohl so, wie mit vielem im Leben: die gute Balance ist das Beste. Nicht zu viel, und nicht zu wenig.
Damit dieser Artikel nicht zu lang wird, beende ich ihn an dieser Stelle. Ich möchte damit schließen, dass die Heilung mit der richtigen Motivation, was kommt nach der Bulimie, was ist mir wirklich wichtig im Leben, eine Zeit des Aufbruchs ist, in der man sich immer wieder mit der Aussicht auf ein gesundes Leben aufbauen und stärken kann. Die Motivation, die daraus hervorgeht, macht alle Anstrengungen wett!