Samstag, 20. August 2016

Von der Bulimie wegkommen: Ein Ernährungs-Gerüst, das dabei helfen kann

Die Frage danach, ob es eine Ernährungsweise gibt, um die Bulimie zu überwinden, stellt sich wohl jeder Betroffene regelmäßig. 

Die Schwierigkeit besteht darin, dass es niemanden gibt, der verlässlich Auskunft dazu geben kann. Viele Ratschläge, die man im Internet finden kann, sind widersprüchlich. Mal ist es die Rohkost, mal vegan, mal steinzeitlich. Mal soll man Weizen- und Milchprodukte weglassen, weil sie suchtauslösend wirken sollen. 

Und mal soll man gar nicht über die richtige Ernährung nachdenken, sondern hauptsächlich auf seinen Körper hören - doch genau damit tun sich so viele Betroffene schwer.


Im Endeffekt willst du mit einer normalen Ernährung wahrscheinlich folgendes erreichen:
  • dir weniger Sorgen ums Essen machen
  • weniger Gedanken ans Essen verschwenden, um mehr Zeit für die wesentlichen Dinge des Lebens zu haben
  • deinem Körper wieder die Nährstoffe geben, die er braucht
  • das Essen wieder genießen


Meine eigene Erfahrung hat mir gezeigt, dass eine feste Struktur (ein "Gerüst) enorm wichtig ist, um die Bulimie hinter sich zu lassen. Daher will ich euch heute ein paar Eckpfeiler dazu aufzeigen, damit ihr euch solch ein solches Gerüst aufbauen könnt. 


Mit einem eigenen Ernährungs-Gerüst beantwortet ihr euch selbst einzelne Fragen:

  • wann (welche Tageszeit) 
  • esse ich was (welche Lebensmittel, wie sind sie zubereitet)
  • wie (unter welchen Umständen, schön gedeckter Tisch etc.) 
  • wo (an welchem Ort - zuhause, an einem Tisch, auf dem Sofa, etc.)  
  • und wieviel davon (welche Portionsgröße, vielleicht gibt es einen bevorzugten Teller, eine Schale etc.). 

Das kann man natürlich nicht zu jeder Zeit einhalten, denn als soziale Wesen begeben wir uns in Situationen, in denen wir nicht alle Bedingungen steuern können. Das gehört zu einem normalen, anzustrebenden Essverhalten auch dazu, und damit von vornherein zu rechnen und sich zu überlegen, wie man damit umgehen kann, kann die Angst davor nehmen.


9 Tipps für Einsteiger: 


Diese Tipps kannst du zum Aufbauen eines eigenen Ernährungs-Gerüsts nutzen. Sie geben zunächst keine Hinweise darauf, welche Art von Lebensmittel dir helfen könnten, da ich die Erfahrung gemacht habe, dass dieses Gerüst am Anfang sehr viel wichtiger ist.



1. Nicht zu viel auf einmal wollen:

Das bedeutet beispielsweise, sich am Anfang nicht zu viele Herausforderungen zu stellen. Anstatt gleichzeitig normale Portionen und sehr gesund essen zu wollen, wird wahrscheinlich nicht klappen. Besser ist es, beispielsweise mit den Abständen zwischen den Mahlzeiten zu beginnen


2. Keine Vorräte von riskanten (oder nicht völlig risikofreien) Lebensmitteln


Wenn du normal einkaufst, hast du vielleicht die Vorstellung, dass normale Menschen ja auch mehr einkaufen, als sie an einem oder zwei Tagen essen können. Ja, normale Menschen machen das so, sie legen Vorräte an, und lagern die Sachen für Wochen oder Monate. Aber es ist keine gute Idee, es genauso zu machen. Denn wenn die Sachen erstmal in deiner Wohnung sind, ist die Hürde sehr viel niedriger, sie auch zu essen - und das während eines FAs. Du weißt für dich selbst, welche Lebensmittel gefährlich sind, und welche du ohne Probleme auch als Vorrat zuhause haben kannst. Aber stell dich nicht unnötig unter Druck. Geh lieber zur Not jeden Tag einkaufen, als weiter im Bulimie-Kreislauf zu versacken - du wirst immer noch Zeit (und Geld) sparen.


3. Wissen, dass Weizen und Milch tatsächlich „süchtig“ machen kann


Weizen und Milch enthalten Stoffe (Gluten und Kasein), das süchtig machen kann (und FAs auslösen kann), wenn eine gewisse Veranlagung oder Sucht-„Erinnerung“ besteht. Das heißt aber nicht, dass du auf diese Lebensmittel verzichten musst. Teste es für dich aus, wie du darauf reagierst, oder ob es dir vielleicht sogar hilft, diese Lebensmittel einzubauen, weil sie einen besonderen Belohnungseffekt haben, für den Betroffene besonders empfänglich sind.


4. Essen langfristig wieder als etwas Nährendes betrachten


Dieser Gedanke ist sehr wichtig, um dieses Gerüst entstehen zu lassen. Essen sollte wieder etwas werden, das Körper, Geist und Seele nährt. Essen gibt dem Körper eben nicht nur Energie und Nährstoffe, sondern hat auch sehr viel mit Genuss zu tun, den man wieder lernen kann.


5. Pausen zwischen den Mahlzeiten lassen


Lass zwischen den Mahlzeiten Pausen, die lang genug sind, um wieder ein Hungergefühl wahrzunehmen bzw. zu entwickeln (4-5 Stunden) und auch, um dem Körper genug Zeit zum Verdauen zu geben. Das Prinzip des „Snackens“ ist überhaupt nicht gesund für den Körper. Vielmehr ist das Verdauungssystem darauf ausgelegt, auch mit längeren Pausen klarzukommen. Pausen zwischen den Mahlzeiten entlasten die Verdauung und geben dem Körper so Zeit, sich anderen Baustellen zu widmen, wie der Reparatur von ganz normalen Zellschäden, die ständig überall im Körper entstehen. In vielen anderen Kulturen wird traditionell "mit Pausen" gegessen, z.B. in der indischen Ernährungsweise des Ayurveda.


6. Portionsgröße: große Portionen sind OK! 


Von der Bulimie bist du wahrscheinlich Essanfälle mit riesigen Mengen gewöhnt. Davon willst du natürlich wegkommen. Sich gleich von Anfang an an normalen Portionen zu orientieren muss aber nicht unbedingt der richtige Weg für jeden sein. Für mich hat das zum Beispiel nicht funktioniert. Ich habe mich auf das Frühstück als Hauptmahlzeit orientiert. Das heißt, ich habe mir viel Zeit dafür genommen und die meisten meiner Tageskalorien zum Frühstück gegessen. Lass dich also nicht von der "Norm" irritieren. Auch wenn es mehr ist, als andere Menschen essen würden.


7. Hilfsmittel sind auch OK! 


Wenn du die langen Pausen zwischen den Mahlzeiten am Anfang nicht leicht erträgst, kaue ruhig Kaugummi, trinke etwas oder lenk dich ab. Das Ziel sollte sein, dich an diesem Gerüst orientieren zu können, dich daran entlanghangeln zu können, so dass es dir mit der Zeit immer leichter fallen wird, nicht ständig ans Essen zu denken. Es geht darum, sich eine andere Verhaltenweise beim Essen anzugewöhnen. Und das geschieht durch ständige Wiederholungen. Egal, wie schwer es am Anfang ist, wenn du es schaffst, lange Zeit keinen FA zu bekommen, wird es dir immer leichter fallen, auf alternative Handlungsstrategien zurückzugreifen, weil im Gehirn die entsprechenden Netzwerke dafür geschaffen wurden, die dich dabei unterstützen.


8. Eine „Haupt"- Mahlzeit festlegen


Dieser Punkt muss nicht für jeden zutreffen - mir hat er sehr geholfen: Entscheide dich, welche Mahlzeit am Tag die wichtigste für dich sein soll und wann du sie einnehmen willst. Viele Menschen müssen sich bei ihren Mahlzeiten an gesellschaftlich genormten Uhrzeiten orientieren: Frühstück, Mittagessen und Abendessen haben sich bei uns etabliert. Wenn du alleine lebst und beispielsweise Student bist, kannst du vieles frei entscheiden. Wenn du jeden Tag Lust auf einen ausgiebigen Brunch hast, warum nicht? In vielen anderen Fällen, bei Berufstätigkeit beispielsweise, wirst du dich wahrscheinlich auf das Abendessen konzentrieren. Lass dir dann genug Zeit bei der Zubereitung der Mahlzeit und genieße dein Essen.


9. Nur das essen, was dir wirklich schmeckt


Das klingt vielleicht ein bisschen profan und banal, aber überlege mal: wie oft hast du schon etwas gegessen, nur weil es eben da war, weil es gesund war, oder weil es andere auch gegessen haben? Klar, oft gibt es Situationen, in denen man etwas mitisst, das ist auch ok und man muss es auch nicht übertreiben. Aber das Ziel sollte es sein, sein Essen wirklich wieder bewusst wahrzunehmen. Wie gut gelingt das bei Essen, das du eigentlich gar nicht magst? Dann versuchst du, es schnell hinter dich zu bringen. Dann lass es lieber sein, denn das kenne ich auch noch von mir selbst: wie oft hat  beispielsweise ein gesundes, aber nicht wohlschmeckendes Essen, einen anschließenden Essanfall ausgelöst? Man hat in diesen Situationen das Gefühl, als hätte man sich mit dem gesunden Essen zu etwas gezwungen, das man eigentlich nicht wollte, und fühlt sich dadurch in seinen Bedürfnissen missachtet- dann ist der Schritt zum FA nicht mehr weit.



2 weitere Tipps für Fortgeschrittene: 


Wenn du die dich mit deinem Gerüst sicher fühlst, kannst du es sozusagen mit "Inhalt" füllen und dich näher mit der Frage beschäftigen: "Was soll ich essen?". 

1. Möglichst viele pflanzliche Lebensmittel einbauen

Pflanzliche Lebensmittel haben sehr viele Vorteile, und das haben sie eigentlich für alle Menschen, aber insbesondere für Menschen, die aus der Bulimie herauskommen wollen. Denn pflanzliche Lebensmittel enthalten viele Ballaststoffe, die die Verdauung wieder ins Gleichgewicht bringen können. Die in Pflanzen enthaltenen Phytochemikalien erfüllen im Körper einige wichtige Funktionen (Auszug aus "Superimmun" von Joel Fuhrmann, S. 25):
  • "Sie regen die Produktion entgiftender Enzyme an.
  • Sie hemmen die Entstehung freier Radikale
  • Sie deaktivieren und entgiften krebserregende Substanzen.
  • Sie schützen Zellen vor Schäden durch Toxine
  • Sie kurbeln die Reparatur beschädigter DNA-Sequenzen an.
  • Sie hemmen die Replikation (Verdoppelung) des DNA-Gehaltes einer Zelle, wenn diese beschädigt ist.
  • Sie bekämpfen Pilze, Viren und Bakterien.
  • Sie hemmen die Funktion beschädigter oder genetisch veränderter DNA.
  • Sie verbessern die Fähigkeit der Immunzellen, Krankheitserreger und Krebszellen zu vernichten (zytotoxische Wirkung).
Phytochemikalien schützen zudem vor Krebs, indem sie das Immunsystem stärken - sie vernichten Krankheitserreger wie Viren und Bakterien.

2. Möglichst viele unverarbeitete Lebensmittel essen


Wenn du dir überlegst, wie du Essen wieder in gesundem Maß zu dir nehmen kannst, dann kommst du um unverarbeitete Lebensmittel nicht herum. Nur so kannst du sicherstellen, dass nichts enthalten ist, was du nicht auch in deinem Körper haben willst. Also keine Konservierungsstoffe, Füllmittel oder andere künstliche Zusatzstoffe.


Tipp zum Schluss: Die Umsetzung


Wenn du nun zum Schluss kommst, dass dir so ein Gerüst helfen könnte, dann kannst du es optimal planen, wenn du dich wirklich mit einem Blatt Papier und Stift hinsetzt und dir deine konkrete Vorstellung dazu aufschreibst oder aufzeichnest. Das muss nicht direkt alle Mahlzeiten abdecken, du kannst auch erstmal mit einem Beispieltag beginnen. 

Vielleicht machst du auch eine Collage mit Bildern von Mahlzeiten an deinem Computer. Am besten wird es funktionieren, wenn du dir ganz genau vorstellst, was du wann etc. essen willst. Frag dich also auch, wie es schmecken und aussehen wird, und wie du es anrichten willst. Probier einfach ein bisschen herum, so dass du mit einem guten Gefühl aus der Planung herausgehst.