Freitag, 17. August 2012

Dem Essen die Bedeutung nehmen

Einen Baum pflanzen
Normales Essen kann eigentlich nur dann funktionieren, wenn man dem Essen seine alles-einnehmende Bedeutung nimmt. Den Raum, den Essen in meinem Leben einnimmt, nutze ich auf andere, sinnvolle, Art und Weise. Essen muss also an Bedeutung verlieren. Ich muss dem Essen seine Bedeutung nehmen. Wenn Essen so immens wichtig in meinem Leben ist, bedeutet das, dass ich eine erhebliche Zeit meines Tages und damit meines Lebens damit verbringe, über Essen nachzudenken.
Inwiefern bringt mich das weiter? Eben- gar nicht. Ich komme weder beruflich weiter, noch privat, noch in der (Weiter-)Entwicklung meiner Persönlichkeit. Das Essen und der FA ist nach wie vor nur ein Symptom. Deshalb kann es zu einem Einbruch kommen, zu Depressionen, wenn ich das sichere - gestörte- Essverhalten einfach so normalisiere. Es funktioniert selten. Ich muss das Darunterliegende anpacken. Viele Dinge, die ich überstopfe mit Essen kommen erst sehr spät ans Licht, wenn ich den Weg zu meinem Inneren schon längst freigeräumt habe.
Das lässt sich ganz einfach mit einem schönen Bild illustrieren. Stellt euch vor, ihr buddelt ein großes Loch, um dort etwas einzupflanzen. Ihr habt also das Loch gegraben und wollt dort einen Baum einpflanzen. Doch ihr kommt nicht dazu, weil ihr feststellt, dass das Erdreich ungeeignet ist, denn überall sind Steine. Also müsst ihr erstmal die Steine entfernen, was ganz schön anstrengend ist, denn sie sind groß, man bekommt sie fast nicht aus der Erde gezogen. Nur die Spitze ragt in das Loch hinein, und je mehr man freilegt, desto mehr Stein kommt zum Vorschein. Bei den Versuchen, die Steine aus der Erde zu holen, fallt ihr fast selbst in das Loch hinein.  Oft sackt die Wiese an der Stelle ein, unter der ihr einen Stein herausgezogen habt. Die Löcher, die durch die Steine entstanden sind, müsst ihr wieder mit frischer Erde ausfüllen. Wenn ihr das nicht machen würdet, würde eine Trümmerlandschaft entstehen.
Doch irgendwann habt ihr es geschafft, alle Steine sind aus der Erde geholt und ihr könnt den Baum endlich einpflanzen. Der Baum macht die Wiese um ihn herum fruchtbar und trägt irgendwann selbst Früchte!

6 Kommentare

  1. Anonym17 August

    Ein wirklich sehr schöner Post und vor allem sehr bildhaft.
    Das Problem ist nur: WIE kann man dem Essen an sich die Bedeutung nehmen? Und vor allem die Gedanken daran minimieren? In deinem Post meinst du wahrscheinlich dem Zu-Viel-Essen (also FA) die Bedeutung nehmen.
    Ich sehe aber ein Problem bzgl. des Essens an sich: Um von dem krankhaften Essverhalten der Bulimie wegzukommen, benötigt es einer geregelten, "gesunden" Ernährung. Das bedeutet doch dann aber, dass man sich zwanghaft mit dem Thema Ernährung und Essen auseinandersetzen muss. Ungleich einem trockenen Alkoholiker kann man der "gefährlichen" Substanz nicht aus dem Weg gehen und das macht es meiner Meinung nach sehr schwer.
    Ich persönlich schwanke dann immer zwischen extrem gesund essen und dann doch wieder mehr und auch ungesundes (nicht so viel wie bei einem FA, aber es steht dann doch im Gegensatz zu dem Ersteren), was aber in einem sehr schlechten Körper- und Kopfgefühl endet und mich an die schlimmen Momente aus meiner Krankheit erinnert. Irgendwie kann ich die Balance nicht finden und wollte dich fragen, wie du es handhabst bzw. während deines Heilungsprozesses gehandhabt hast: Sollte man z.B. komplett auf Zucker und "gefährliche" Sachen wie Schokolade und Weißmehl verzichten (wie in manchen Ratgebern empfohlen) oder doch eher jeden Tag einbauen, um keinen Heißhunger entstehen zu lassen?
    Wie hast du während deiner Heilung eine ausgewogene Ernährung etabliert? Ich weiß, dass es keine Universallösung gibt, aber vielleicht kannst du mir ein paar Tips geben für den Anfang.

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  2. Mein Rat wäre genau das, nämlich ganz auf Weißmehl und Zucker zu verzichten.

    Aus zwei Gründen: zum Einen habe ich mich zu lange mit gesunder Ernährung befasst, so dass ich die negativen Auswirkungen kenne. Ich sehe es schlicht und ergreifend nicht mehr ein, warum ich es essen sollte. Wenn ich die Wahl habe zwischen einem Vollkornkeks mit Honig und einem normalen Butterkeks (angenommen, beide schmecken objektiv gleich gut), dann würde ich zum Vollkornkeks greifen. Weil ich bei dem Weißmehlgepansche kein gutes Gefühl habe.

    Zum Anderen hatte ich keine Lust, mich immer dieser "Gefahr" auszusetzen. Macht keinen Sinn... Warum sollte man sich auch ständig damit rumquälen?

    Stichwort Alkoholiker: Weißmehl und Zucker sind für mich tatsächlich (!) wie Alkohol für dein Alkoholiker.

    Ähnlich beim Zucker: ich hab eine Zeitlang den Zucker komplett gestrichen, und es ist wirklich verwunderlich, in welchen Lebensmitteln Zucker enthalten ist. Dadurch konnte ich meine Geschmacksnerven wieder richtig resensibilisieren, ich fand die Sachen mit Zucker dann viel zu süß (ok, vorher auch schon, aber nicht so arg).
    Und welche positiven Effekte hat Zucker auf meinen Körper, außer dem Aufputschen? Keine. Leere Kalorien ohne Nährwert. Also lass ich es weg.

    Hört sich jetzt wieder so einfach an. Ich glaube, man braucht einfach seine Zeit, um auf den Trichter zu kommen, dass man seine ganz eigene Ernährung finden muss. Und sich nicht an anderen orientieren muss. Ich kann mittlerweile ganz wunderbar ohne Zucker leben.

    Wie du auch schon geschrieben hast, ist es wichtig, dass man beim Essen ein gutes Körpergefühl hat.

    Das schaffe ich persönlich am besten dann, wenn ich weiß, dass ich meinem Körper durch mein Essen etwas Gutes tue.

    Weißmehl und Zucker sind für mich nichts Gutes. Darum esse ich es nicht. Aber ich ergänze: meistens! Klaro gibt es Ausnahmen, wie z.B. irgendwas bestimmtes. Das darf auch nicht so sehr zum Dogma und zu extrem werden.

    Aber ich glaube, anders hätte ich es niemals geschafft. Die Sachen wirklich als Drogen zu sehen, hat mich persönlich wirklich weitergebracht.

    Und das erzählt leider kein Therapeut. Hm. Unter anderem darum gibt´s diese Seite :)

    An dieser Stelle sei auch nochmal auf das Buch "Zucker und Bulimie" von Inke Jochims verwiesen.

    PS.: Im Nachhinein kommt es mir so vor, als wär ich jedes Mal, wenn ich wieder damit aufgehört habe, auf mich selbst zu hören, und mir gesagt hab "mach´s doch wie die anderen, ist doch nicht schlimm"- genau DANN bin ich wieder reingeschlittert.

    Bleib lieber bei dir selbst und DEINEN Prinzipien :)

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  3. ....demnächst folgt ein Beitrag mit konkreten Tipps, das wurde ich nämlich schon oft gefragt.

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  4. Um genau auf die Fragestellung des Posts zu antworten: die Bedeutung verliert Essen eben genau dann, wenn ich ihm nicht mehr so viel Bedeutung zukommen lasse.

    Und Bedeutung entsteht aus meinen Gedanken.

    Weißmehl und Zucker führen aber zu heftigsten körperlichen Reaktionen (bei Bulimikern sind diese stärker als bei Normalessern, s. Inke Jochims "Zucker und Bulimie").
    Diese provozieren, dass ich wieder darüber nachdenke.

    Die einzige logische Konsequenz um diese Gedankenfolter zu beenden, ist eben *Verzicht auf Weißmehl und Zucker*.

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  5. Anonym17 August

    Danke für deine Antworten zu meinen Fragen. Den prinzipiellen Verzicht, den du beschreibst, hatte ich bereits mal für einige Tage (10 oder so waren es, wenn ich mich richtig erinnere) ausprobiert und fühlte mich nach den ersten Tagen "Entzug" auch besser. Das einzig Problematische ist dann eigentlich nur ab und zu die "Kopf"-Sache, d.h. dass man sich wieder komplett etwas vorenthält/verbietet und so hat bei mir im Grunde die Krankheit angefangen (Wunsch zum Abnehmen trotz objektiv niedrigem Gewicht und streichen vieler Sachen aus meinem Speiseplan).
    Aber du hast schon recht: Man verzichtet nicht, um sich zu quälen, sondern um sich und seinem Körper keine schlechten Sachen anzutun. Das ist meiner Meinung nach die beste Sichtweise und das werde ich mir auch weiterhin vor Augen halten. Meistens scheitert es, wenn ich zu erschöpft bin und meinen Körper eh schon ausbeute (wenig Schlaf, viel Arbeit), aber auch das ist mir bewusst und ich arbeite daran.

    Eine generelle Frage hätte ich noch: Du scheinst so ausgeglichen und im Reinen mit dir selbst und ich lese mir immer wieder deine motivierenden Posts durch. Hast du vielleicht einen Tipp für ein gutes Buch oder eine Homepage, das/die dir sehr gut geholfen hat, dieser Ausgeglichenheit näher zu kommen? (Ich weiß, komische Frage, aber oft bin ich so unruhig und rastlos und sehne mich nach passender Literatur, die beruhigt; Inke Jochims Buch ist ja eher biologisch und viele Bulimieratgeber sind mir dann doch zu "ratgeberhaft").

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  6. Gern geschehen! So wie du sehe ich es auch, das Buch von Jochims ist schon -metaphorisch gesprochen- schwer verdaulich.

    Es hat mir aber insofern geholfen, als ich diese ganzen banalen Ernährungssachen damals weder von meinem Therapeuten noch in der Klinik mitbekomme habe. Das schien ein Tabu gewesen zu sein- oder man wusste es schlicht und ergreifend nicht. Darum war das Buch schon ein Augenöffner, aber, wie du auch sagst, eher biologisch. Es gibt halt einfach keine "Handlungsvorschläge" in psychischer Hinsicht, und darum macht es sich auch nicht zu einem vollwertigen Therapieansatz.

    Hm. Ich habe mir ein Behandlungskonzept sozusagen selbst maßschneidern müssen.

    Ein wichtiges Element in diesem Puzzle war bestimmt auch Seneca. Er beschreibt nicht viel mehr, als dass es das Ziel des Lebens ist, mit sich selbst im Reinen zu sein. Unabhängig von allen äußeren Umständen.

    So hab ich es auch geschafft, die Unruhe in den Griff zu kriegen. Diese Unruhe war bei mir wirklich schlimm, ich war sogar beim Psychiater und wurde mit ADS diagnostiziert! So weit kann es kommen.

    Dabei hat alles ganz andere Ursachen.

    Aber wie gesagt: Seneca, z.B. "Von der Glückseligkeit". Gibt´s auch in einem Reclam-Sammelbändchen für um die 5 Euro.

    Nachdenken macht es aus, si claro. Sich selbst in einem anderen Zusammenhang zu sehen. Die Denkweise ändern. Die Einstellung ändern.

    Oder ein Film: Von Charles und Ray Eames "The Power of 10". Hilft bei der Suche nach dem Zusammenhang :)

    Stille "aushalten" kann man lernen. Das ist wunderbar...!
    Früher hätte ich mich nie einfach auf eine Wiese setzen und in den Himmel schauen können. Das hatte auch was mit Betäubung zu tun.

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