Samstag, 20. April 2013

Warnung vor Sojaprodukten

In eigener Sache erzähle ich euch jetzt meine kleine Sojageschichte. Vor einigen Monaten habe ich beschlossen, vegan zu leben. Im Laufe der Zeit stieg mein Sojakonsum dadurch ziemlich an. Irgendwoher musste ich schließlich mein Eiweiß bekommen. Statt Käse aß ich also Sojaaufschnitt und -Aufstrich, in den morgendlichen Kaffee gab es ab sofort Sojamilch anstatt der normalen, und zum Frühstück gab es statt Rührei einen leckeren Rührtofu. Und all das schmeckte auch noch ziemlich lecker. Ich aß mit wunderbar gutem Gewissen, schließlich ging ich davon aus, nicht nur mir, sondern auch der Natur und den Tieren etwas gutes zu tun.

Dann, nach circa einem Monat, oder vielleicht waren es auch 6 Wochen, wartete ich wie immer auf das Einsetzen meiner Tage. Sie waren in den letzten Jahren immer innerhalb weniger Tage gekommen, mal nach 29, mal schon nach 28 Tagen. Aber dieses Mal wartete ich, und wartete. Jedes kleines Bauchgrummeln wurde zur Kenntnis genommen, aber schließlich dauerte es ganze 6 Wochen und einen negativen Schwangerschaftstest, bis ich meine Periode begrüßen durfte.

Woran lag es? Ich hatte weder mehr Stress als sonst (im Gegenteil, mein Leben war recht entspannt), noch hatte ich irgendwelche körperlichen Mangelerscheinungen und auch meinem Blut fehlte nichts.
Warum also diese Ausnahmeerscheinung? Die einzige Veränderung, die sich in meinem Leben ereignet hatte, war meine Ernährungsumstellung.

Also machte ich mich auf die Suche nach einer möglichen Ursache, und tatsächlich: ein zu hoher Sojakonsum kann zu Veränderungen des Östrogenhaushalts führen. Also ist die verschobene Regel tatsächlich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf meinen scheinbar zu hohen Sojakonsum zurückzuführen. Ich wusste ja voher, dass in Soja sogenannte Phytoöstrogene enthalten sind, aber ihre Wirkung hatte ich vollkommen unterschätzt.

Neben der verspäteten Regel nahm ich außerdem einige Kilos zu, so dass mir (nach dieser kurzen Zeit!) beispielsweise meine Lieblingsjeans einfach nicht mehr passte. In Zusammenhang mit der hormonellen Wirkung des Sojas wird ein Schuh daraus, denn ich hatte nichts geändert, ich trieb nach wie vor Sport und war aktiv wie immer.

Mein Fazit? Soja ist in normalen Mengen kein gesundes Lebensmittel, vor allem nicht für Frauen, die auf ihr Gewicht achten möchten und ein gesundes Verhältnis zu ihrem Körper aufbauen wollen. Es ist außerdem völlig ungeeignet für Menschen, die aus der Bulimie aussteigen wollen, da sie durch den Sojakonsum trotz einer angemessenen Kalorienzufuhr zunehmen können. Die Wahrscheinlichkeit einer Gewichtszunahme ist nicht zu unterschätzen, weil die hormonelle Wirkung durch das Soja nicht willentlich gesteuert werden kann. Sobald also Soja in einer gewissen Menge konsumiert wird, hat es eine ähnliche Wirkung wie beispielsweise die Pille, die ebenfalls zur Gewichtszunahme beitragen kann.

Seitdem vermeide ich den Konsum von Soja wo ich nur kann, und bin von der Soja- auf Hafermilch umgestiegen. Sie schmeckt mir gut, und dass sie nicht aufgeschäumt werden kann, darüber sehe ich großzügig hinweg. Alle anderen Fleischersatzprodukte und den Tofu lasse ich weg, und als Aufstrich kommen anstatt der Hefe-/Sojaaufstriche aus den Dosen jetzt die kleinen Gläschen auf den Tisch, die mit Sonnenblumen als Grundlage hergestellt werden.

Es gibt noch weitere interessante gesundheitliche Nachteile von Soja, die ihr alle hier nachlesen könnt.

Mittwoch, 17. April 2013

Riskanter Ersatz: Lebensmittelfotos ansehen

Vielleicht kennt ihr es auch: um sich vom (übermäßigen) Essen abzuhalten, sieht man sich im Internet Fotos von Lebensmitteln an. Von saftigen Schokoladenkuchen, knusprigen Keksen, dick mit Käse belegten Pizzen, von süßen Pralinen und cremiger Eiscreme.

Aber diese scheinbare Bewältigungsstrategie ist keine, denn früher oder später kann auch sie den Essanfall auslösen. Durch die Beschäftigung mit Essen und der Vorstellung, die Nahrungsmittel auf den Bildern tatsächlich zu essen, werden Mechanismen in Gang gesetzt, die ein Hungergefühl auslösen. Dies geschieht durch die Ausschüttung des Hormons Ghrelin, das ein Hungergefühl bewirkt.

Belegt hat dies nun ein Forschungsteam in München. Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München untersuchte 50 männliche Probanden, die vorher gegessen hatten und rein körperlich betrachtet eigentlich keinen Hunger haben konnten. Ihnen wurden Fotos von Wiener Schnitzeln, Schokoladenkuchen und Eiscreme gezeigt. Anschließend wurde ihr Ghrelinspiegel im Blut gemessen. Es zeigte sich, dass dieser signifikant gestiegen war.

Man solle sich also keine appetitlichen Speisen ansehen, wenn man auf sein Gewicht achtet, so das Fazit der Forscher. Denn schon allein der Anblick von leckeren Speisen könne Appetit auslösen.

Aber mal unter uns: Wer wusste das nicht schon vorher?


Hier der Link zum Artikel auf ORF.

Samstag, 13. April 2013

Weiß ein Bulimiker nicht, dass er zuviel essen wird?

Gibt es einen klassischen Verlauf eines Essanfalls?

Meist hört man generell von großen Mengen, die in kurzer Zeit verschlungen werden, und dass die Betroffenen schon auf dem Nachhauseweg scheinbar wie ferngesteuert Nahrung in sich hineinstopfen. Sobald sie von ihrem Einkaufsfeldzug zuhause angekommen sind, lassen sie sich auf den Boden sinken, verteilen die Lebensmittel um sich herum, verwenden weder Geschirr noch Besteck, und verabschieden sich vollständig in eine Art Paralleluniversum.

Danach, so ist der Tenor vieler Darstellungen, bereuen sie, zuviel gegessen zu haben und wollen es rückgängig machen. Das klingt so, als wüssten sie vorher nicht, dass sie zuviel essen würden. Insbesondere diese Darstellung des "Bereuens" taucht in den gängigen Beschreibungen immer wieder auf, und ich frage mich, woher sie wohl stammen? Das deckt sich in keiner Weise mit den zahlreichen Schilderungen, die ich, seit ich diesen Blog betreibe, von Betroffenen erhalten habe.

Auch der Part "kurzer Zeitraum" entspricht nicht immer den Gegebenheiten. Eine Episode kann sich durchaus auch mal über einen ganzen Tag, eine ganze Nacht oder mehrere Tage erstrecken.

Menschen, die an Bulimie erkrankt sind, sind keine willenlosen Wesen, die nur auf Impulse reagieren. Sie lassen sich genauso wenig in ein Schema pressen wie alle anderen Menschen dieser Welt.

Mittwoch, 10. April 2013

Research Review: Reduzierte Schmerzempfindlichkeit bei Bulimikern

In der u.g. Studie aus dem Jahr 1991 wurde die Schmerzempfindlichkeit von 20 Bulimikern und 21 Anorektikern untersucht und mit Kontrollgruppen verglichen. Es stellte sich heraus, dass die erkrankten Gruppen ein verringertes Empfindlichkeitslevel aufwiesen, das allerdings unterschiedliche Ursachen hatte. Die Ergebnisse überraschen insofern, als beide Gruppen erhöhte Ängstlichkeit zeigten, die beim Gesunden herkömmlicherweise schmerzverstärkend wirkt.
Die Ursachen der reduzierten SE konnten nicht eindeutig geklärt werden. Bulimiker mit einer Veranlagung für Übergewicht wiesen jedoch eine generell niedrige Empfindlichkeit auf. Auch bei Adipositas ist dieser Zusammenhang zwischen erhöhtem Körpergewicht und einer niedrigen SE bekannt. Bei den Anorektikern hingegen scheint der Grund der niedrigen SE in ihrer gestörten Regulation der Körpertemperatur zu liegen.

Lautenbacher, S. et. al.: Pain Sensitivity in Anorexia Nervosa and Bulimia Nervosa. In: Biological Psychiatry, Volume 29, Issue 11, 1. Juni 1991, Pages 1073-1078.

Samstag, 6. April 2013

Seltsame Essgewohnheiten?

In der Übergangszeit zwischen gestörtem und völlig normalem Essverhalten gibt es ein Essverhalten, das noch nicht als ganz normal und auch nicht unbedingt als gesellschaftsverträglich bezeichnet werden kann. Ich verallgemeinere hier meine eigene Erfahrung und die Erfahrungen anderer, von deren Geschichten ich persönlich, durch den Austausch in Foren oder per Email erfahren habe.

Zwischen bulimischem Essverhalten mit Essanfällen und Erbrechen und einem völlig gesunden Essverhalten liegt eine Zeit, in der man weder richtig gesund noch wirklich gestört isst. Es gibt etliche ehemals Betroffene, die zwar ihre Essanfälle in den Griff bekommen haben aber sich trotzdem nicht so fühlen, als würden sie normal essen.

Das ist völlig okay. Niemand sollte sich selbst deshalb Vorwürfe machen oder, noch schlimmer, sich von anderen Vorwürfe machen lassen. Denn alles ist besser als weiterhin Essanfälle zu haben. Alles, was dazu führt, dass Essanfälle verhindert werden, führt dazu, den Betroffenen näher an seine Gefühlswelt heranzubringen. So kann er sich besser kennenlernen und sein Leben aktiv gestalten, anstatt sich von äußeren Umständen mitreißen zu lassen.

Um den Kern dessen, was ich hier beschreiben möchte, besser zu veranschaulichen, möchte ich euch einen Teil meiner eigenen Geschichte hierzu erzählen. Ich habe sehr lange Zeit das Frühstück als fast heilige Mahlzeit betrachtet, und habe auch große Mengen gefrühstückt. 3 Brötchen waren normal, oder 1 großes Brötchen (Seele) und ein süßes Stückchen. Und das jeden Tag, nicht nur am Wochenende. Die nächste Mahlzeit fand dann allerdings meist erst wieder gegen abends statt, da ich  mir angewöhnen wollte, wieder richtigen Hunger zu spüren. Normalerweise würden 4-5 Stunden dazu ausreichen, aber da ich auch keinen Sport gemacht habe, hatte ich schon Angst wegen der Kalorien. Ich wollte nicht mehr als 2000kcal essen. Abends habe ich dann wieder "ganz normal" gegessen, also auch eine ganze Pizza etc. Mein Gewicht konnte ich so gut halten, und ich konnte mich auch endlich in meinem Körper wohlfühlen.

Also, was ich damit sagen will: falls ihr, auch vielleicht schon längere Zeit, keine bulimischen Symptome habt, und euch euer Essverhalten trotzdem seltsam erscheint, gebt die Hoffnung nicht auf, dass es irgendwann wirklich wieder normal wird. Auch wenn ihr nur zweimal am Tag esst und vielleicht auch immer dasselbe. Das pendelt sich ein.

Ihr könnt euch selbst bei diesem Prozess unterstützen, indem ihr z.B. des öfteren ungewohnte Lebensmittel probiert, exotische Früchte oder Speisen, die ihr nur vom Hörensagen kennt. Denn ihr könnt nur Appetit auf etwas haben, das ihr schon mal gegessen habt. So kann euch euer Körper auch viel leichter sagen, was er braucht.

Irgendwann wird es tatsächlich so sein, dass ihr euch um das Essen fast keine Gedanken mehr machen müsst, und dass es ganz einfach ein Tagesordnungspunkt ist wie jeder andere. Essen kann dann trotzdem Genuss sein, und es wird super viel Spaß machen, wieder zusammen mit anderen zu essen, um Essen als verbindendes Element zu nutzen.


Montag, 1. April 2013

Interview mit Anna

Die letzten beiden Montage gab es die beiden ersten Interviews, hier kommt nun das letzte in dieser Reihe. Dieses Mal gab mir Anna Einblick in ihre Geschichte mit der Bulimie:


Inwiefern hast du mit Essstörungen zu tun- seit wann bist du betroffen? 
Ich habe seid 5 Jahren eine Essstörung, genau benennen kann ich sie nicht. Würde sagen eine Mischform, hatte aber in den ganzen Jahren verschiedene Phasen. Also Bulimie ohne brechen eine Zeit, dann Bulimie mit übergeben, paar Monate Binge Eating und jetzt seit 2 Jahren eine Mischform Magersucht und Bulimie.

Was denkst du, steckt hinter deinem Essverhalten? 
Ich denke immer noch, der Wunsch ein Gewicht zu halten, was mir persönlich gefällt, auch wenn es nicht gesund ist.

Wie würdest du einem Fremden beschreiben, warum du dich so verhältst? 
Einem Fremden beschreibe ich es oft so, dass ich eine Diät anfangen wollte und irgendwann mitten drin in der Essstörung war. Zuerst hat es mich psychisch nicht belastet, wieso auch- ich habe ja nur eine Diät gemacht, nur irgendwann hatte ich es nicht mehr unter Kontrolle. Das Thema Kalorien, nichts essen, zu viel essen, zunehmen hat mein ganzes Leben so eingenommen, dass ich meine Freunde verloren habe, mich total isoliert habe, an nichts mehr Spaß hatte. Jeden morgen das wiegen. Die Zahl auf der Waage bestimmt, ob der Tag gut ist oder schon gelaufen. Ich kann nicht einfach wie früher essen ohne danach nicht dauernd daran zu denken. Es ist einfach eine Sucht. Ich kann einfach nicht anders, ich würde gerne meinen Kopf ausschalten und diese ganzen Gedanken löschen. Es dreht sich alles ums Essen, dass würde ich gerne ändern.

Was hindert dich daran, "normal" zu essen? 
Daran hindert mich keiner. Ich esse relativ viel also normal 1500Kalorien und halte damit mein Untergewicht ohne zuzunehmen, aber selbst dann fällt es mir oft schwer mich nach dem essen nicht zu übergeben, weil ich immer Angst habe ich könnte doch zunehmen. Und das ist auch der Grund, wieso ich Angst habe mehr zu essen weil ich Angst habe zuzunehmen. Das Essen essen ist leicht, Mund auf Essen rein aber die Gefühle danach aushalten- das ist das schwere. Ich fühle dann so eine große Angst ich kann es gar nicht beschreiben. Es hört sich krank an und das ist es auch.

Was würdest du machen, wenn du morgen aufwachen würdest und du könntest auf einmal ganz normal essen? Was würde sich in deinem Leben verändern? 

Ich weiß nicht was sich verändern würde. Ich wünsche mir oft es ist wie früher. Das schlimme ist ja nicht das Essen, ich esse gerne nur diese Gedanken. Und die gehen nicht weg auch wenn ich sozusagen normal essen würde, was auch immer normal heutzutage ist. Ich wünschte mir essen einfach wie früher als eine normale Sache anzusehen, man isst halt ohne sich danach großartig Gedanken darüber zu machen. Essen gehört eigentlich zum Leben dazu, aber bestimmt nicht das Leben.

Eine Essstörung betrifft ja nicht nur das Essen. Welche Dinge machst du nicht wegen der Essstörung? Bzw. anders gefragt: welche Dinge würdest du machen können, deiner Meinung nach, wenn du normal essen würdest?

Ich bin unspontan, kann nicht einfach mal mit Leuten essen gehen. Bin sehr zurück gezogen und sehr sensibel und unsicher geworden. Früher war ich Selbstbewusst, das habe ich ganz verloren durch die Essstörung. Ich muss aber sagen das ich trotz Untergewicht und der längeren Zeit der Essstörung körperlich fast nie Beschwerden habe und mich auch nicht schwach fühle. Also so körperlich kann ich nach wie vor alles machen, wie auch vor der Essstörung.
 
Hattest du konkret aufgrund des Essverhaltens schon einmal Angst um dein Leben? Was ist genau passiert? 
Ich hatte schon mehr mal das Gefühl wenn ich abends im Bett lag zu sterben, weil ich sehr schwach war und Herzrasen hatte und ich dachte mein Körper macht schlapp. Aber wie gesagt das war in den ganzen Jahren eher selten.

Was würdest du jemandem sagen, der gerade dabei ist, in eine Essstörung abzurutschen, aber noch umkehren kann? 
Ich würde ihm sagen das wenn man abnehmen will, eine Ernährungsumstellung und Sport machen sollte. Dass, wenn man erstmals in der Essstörung ist, es nie wieder wie früher sein wird. Ich bin der Meinung, ich werde irgendwann mit der Essstörung leben können, aber einmal essgestört immer essgestört, und frei wie früher essen und auch leben werde ich nie wieder können. Also würde ich jedem das so erzählen, und dass die meisten auch Depressionen haben- und gerade psychisch geht es fast jedem schlecht und das wegen paar Kilos, die die meisten am Anfang abnehmen wollen- ist es das wert? Mit Sicherheit nicht.

Vielen Dank, Anna. Ich glaube auch, dass du es aus der Essstörung schaffst! Hab Vertrauen in dich ;)

Samstag, 30. März 2013

Eating Guidelines von Geneen Roth

1. Iss nur dann, wenn du wirklich hungrig bist. 
Höre auf deinen Körper, denn er wird dir sagen, wann es Zeit zum Essen ist. Dann gilt es, genug zu essen. Hunger ist ein Überlebensmechanismus. Dein Körper wird dir früher oder später mitteilen, wenn er Nahrung benötigt. Die meisten Leute essen nicht dann, wenn sie hungrig sind, sondern weil es gerade Frühstücks-, Mittagessens- oder Abendessenszeit ist, weil jemand Geburtstag hat, sie etwas feiern wollen, sie wütend oder traurig sind und aufgrund vieler anderer Gründe, aber nicht, weil sie wirklich hungrig sind. Iss nur dann, wenn du wirklich hungrig bist.

> aus 1. folgt: Lass genügend Zeit zwischen den Mahlzeiten
Wie findest du also heraus, ob du wirklich hungrig bist und nicht nur Appetit auf etwas hast? Wenn du kurz nacheinander isst (und das habe ich auch schon in diesem Artikel erwähnt), wirst du nicht wirklich hungrig sein, weil der Magen noch von der letzten Mahlzeit voll ist. Dann ist es schwierig, zwischen Hunger und Appetit zu unterscheiden. Appetit ist nicht mit Hunger gleichzusetzen. Optimal ist ein Abstand von mindestens 4 Stunden. Wie kann man also feststellen, ob man wirklich hungrig ist? Geneen Roth rät dazu, sich, bevor man anfängt zu essen (oder einkaufen zu gehen), sich eine oder zwei Minuten Zeit zu nehmen. Und dann auf einer Skala von 1 bis 10 den eigenen "Hunger" einschätzt. 1 wäre "sterbenshungrig" und 10 "vollgestopft". Zwischen 5 und 10 ist der Körper nicht hungrig, zwischen 1 und 4 ist der Körper hungrig und braucht Nahrung, nur dann sollte man essen.
An dieser Guideline habe ich mich damals auch (unbewusst, da ich sie gar nicht kannte) orientiert und kann sie euch daher auch wirklich empfehlen. Vor allem der bulimische Magen hat völlig verlernt, Essen anständig zu verdauen und braucht daher vermutlich (das Gefühl hatte ich damals immer) länger, um den Mageninhalt zu verarbeiten. Wichtig, um Hunger zu spüren, ist es aber, dass der Magen wirklich leer ist. Daher sind 4-5 Stunden zwischen den Mahlzeit ein guter Tipp, um das Hungergefühl wieder aufkommen zu lassen. In einer Amazon-Rezension zu Geneen Roth´s Buch schreibt eine Leserin, dass sie die Methode gleich am ersten Tag nach dem Lesen ausprobiert hat. Sie wollte schließlich erst um 14 Uhr etwas essen, und das war geschlagene Sahne mit flüssiger Schokolade. Indem sie die Guidelines befolgt hat, hat sie sogar Gewicht verloren und ein völlig entspanntes Verhältnis zum Essen entwickelt.

2. Setz dich zum Essen hin und sei in einer ruhigen Umgebung. 
Iss also nicht im Gehen oder im Auto. Warum nicht? Wenn man gleichzeitig etwas anderes macht, kann man sich nicht aufs Essen konzentrieren. Essen mit Genuss soll ja wieder gelernt werden. Genussvoll kann Essen aber nur sein, wenn man seine Aufmerksamkeit auf das Essen richtet.
Diese Guideline geht mit Nr. 3 und auch teilweise 4. einher: alleine und ohne Ablenkungen zu essen hilft dabei, den Fokus vollkommen auf das Essen zu richten. Ich halte es für praktikabel, wie weiter unten unter Nr. 4 beschrieben, einmal am Tag alleine zu essen. Das ist auch dann machbar, wenn man noch zuhause wohnt, tagsüber mit Kollegen essen geht oder abends auswärts isst. Wenn man sich mit dem Essen wieder sicherer fühlt, kann man das auch wieder ausweiten. Die Guidelines sind ohnehin nicht dazu gedacht, für den Rest des Lebens angewandt zu werden, sondern bieten vielmehr eine Unterstützung auf dem Weg der Heilung; aber auch eine gute Orientierung für die Zeit, wenn man schon längst wieder gesund ist.

3. Iss ohne "Störungen"
Störungen sind z.B. Unterhaltungen, die dir ein schlechtes Gefühl vermitteln, oder aber auch Musik, die nervös macht oder dich stört.

> 2. und 3. beinhalten eigentlich dasselbe, nämlich: sich die Zeit und das Privileg zu gönnen, sich wirklich auf das Essen zu fokussieren. Sei so nett zu dir und zoll dir selbst den Respekt, auch wenn es nur 5 Minuten sind. Oft schieben wir jedoch die Geschäftigkeit und den Stress als scheinbaren Grund vor, dass wir uns diese Zeit nicht nehmen. Man sollte sich aber schon fragen, wieviel man sich selbst wert ist, denn dann sind diese 5 Minuten immer drin, in denen man sich auf sich selbst konzentrieren und mit sich allein sein und sich etwas Gutes gönnen kann.
Diese Guideline überschneidet sich wieder stark mit Nr. 2- iss in einer ruhigen Umgebung; das beinhaltet äußere Ruhe. Ich möchte die Guideline ergänzen: kümmer dich auch um innere Ruhe. Lass nicht zu, dass dich aufwühlende Gedanken während des Essens stören. Das hinzubekommen, ist wieder leichter gesagt als getan. Aber du kannst vor dem Essen kurz innehalten, auch wenn das bedeutet, dass du ein, zwei Minuten auf die Toilette gehst und kurz überlegst, was dich so zur Weißglut bringt. Dann schreib es auf und klapp das Buch zu. Nimm dir vor, dir eine halbe Stunde selbst die Ruhe zu gönnen. Um die Angelegenheit kannst du dich nach dem Essen kümmern. Wenn du mit anderen beim Essen bist und sie über etwas sprechen, das dich stört, dann sprich ruhig an, dass solche Diskussionen nach dem Essen geführt werden können. Das Essen ist schließlich nicht dazu da, um Streitgespräche zu führen! Wie in 2. ist es auch hier nicht immer möglich, ganz ohne Geräuschkulisse zu essen. Aber wenigstens einmal am Tag kannst du dafür sorgen, während des Essens deine Ruhe zu haben. Du wirst dich vielleicht fragen, warum nur einmal am Tag, aber auch hier ist es wie so oft: die Übung macht den Meister.... Je öfter du dich auf dein Essen konzentrieren kannst, desto besser wird dein Verhältnis zu ihm werden.

4. Iss das, wonach dein Körper verlangt.
Hier werden Geneen anscheinend die meisten Vorwürfe gemacht, weil die Leute sich nicht vorstellen können, was dieser Punkt genau bedeutet. Die Leute glauben, sie hätten bisher doch schon immer das gegessen, was sie wollten und dass genau das sie in die Essstörung gebracht hätte.
Aber wirklich das zu essen, was der Körper will, bedeutet etwas anderes. Denn dann isst man nicht mehr das, was der Kopf sich ausdenkt. Wenn man nicht genau weiß, was der Körper braucht und worauf man Lust hat, soll man die Augen für 30 Sekunden schließen und warten, welche Lebensmittel dann auftauchen.
Diese Guideline halte ich für die schwierigste. Doch anfangs kann es völlig ausreichen, das nicht zu essen, was man nicht essen will. Das bedeutet, dass man keinen Apfel ist, wenn man ein Käsebrot will. Man isst den Apfel eben deshalb nicht, weil er gesünder ist und weniger Kalorien hat, sondern man isst das Käsebrot, weil man Lust darauf hat und die Lust darauf nicht weggeht, wenn man den Apfel isst. Teilweise halte ich diese Guideline für sinnvoll, aus dem eben genannten Grund, teilweise aber auch für sehr riskant. Denn wenn mir damals jemand gesagt hätte: "iss das, was du wirklich willst", hätte ich vermutlich Lust auf all diejenigen Lebensmittel gehabt, die ich während meiner FAs immer gegessen habe: Schokoladenkuchen, Lasagne, Fruchtjoghurts, und und und. Daher ist diese Guideline für sich genommen keine Hilfe. Es kann allerdings sehr helfen, vorerst eine Unterscheidung zwischen süß / salzig und warm / kalt zu treffen. Dann kann man sich fragen: Welche Konsistenz hat es? Ist es hart oder eher weich, welches Geräusch macht es beim Kauen? Wird es gekaut oder eher geschluckt? Will ich es zusammen mit etwas anderem essen? Hat es spezielle Gewürze oder riecht es besonders? All das hat mir in der Vergangenheit auch geholfen. 

5. Iss solange, bis du zufrieden bist und keine Lust mehr hast, weiterzuessen. 
Zufrieden und satt zu sein bedeutet nicht, vollgestopft zu sein. Man muss sich nicht vollstopfen, um satt sein zu können. Satt ist man also dann, wenn man einfach keine Lust mehr auf einen weiteren Bissen hat und nicht dann, wenn man keinen Bissen mehr herunterbekommt, weil man das Gefühl hat, sonst platzen zu müssen. Es wird schwerfallen, diesen Unterschied zu bemerken, wenn man nebenbei andere Sachen macht, wie z.B. fernsehen, lesen oder eine Unterhaltung zu führen (Anm.: jeden falls nicht zu Beginn, ich würde schätzen, dass man das nach einigen Wochen / Monaten auch wieder gelernt haben kann und so bewusst ist, dass man den Unterschied auch dann merkt, wenn man mit anderen Leuten gemeinsam isst). Mindestens einmal täglich sollte man laut Geneen Roth alleine essen, um sich komplett auf das Essen konzentrieren zu können. Es geht hier um die Übung, sich diesen Umgang mit dem Essen wieder anzueignen und die Signale des Körpers zu verstehen. Auf der Hungerskala (s.o.) wäre "satt" zwischen 4 und 5. Über einem Wert von 5, so Roth, fühlt man sich bereits voll und hat mehr gegessen, als der Körper braucht.
Zu Beginn kann es sein, dass man eher mehr essen muss, um sich satt zu fühlen. Das hat auch mit dem durch die großen Mengen ausgedehnten Magen zu tun, der sich erst wieder zurückbilden muss. Bitte mach dir dann keine Vorwürfe, wenn du das Gefühl hast, zuviel zu essen, und Angst hast, dass das für immer so bleibt- tut es nicht!

6. Iss dort, wo du in Sichtweise anderer Menschen bist 
Dieser Punkt bewirkt, dass man sich selbst respektiert und seinen Hunger anerkennt. Die Annahme vieler Essgestörten ist: wenn andere mich sehen könnten, während ich esse und diesen unstillbaren Hunger nach Essen in mir stille, würden sie mich nicht mehr mögen. Dort zu essen, dass man für andere sichtbar ist / sein könnte, kann bewirken, dass man sich selbst akzeptiert und seinen Hunger als gegeben annimmt und ihn nicht mehr verheimlicht. Man sagt sich selbst, dass es okay ist, dies und das zu essen.
Zunächst hielt ich diese Guideline für etwas paradox in Hinblick auf 2. und 3., da viele Essgestörte generell ein Problem mit dem Essen in der Öffentlichkeit haben und vorher zum Essen in ruhiger Umgebung geraten wird. Sinnvoll kann es dennoch sein, sich z.B. einmal in der Woche auf einem Markt etwas zu kaufen und dort zu essen oder in ein Restaurant essen zu gehen. Dann kann man das öffentliche Essen auch gleich damit kombinieren, mal etwas neues auszuprobieren. Ich glaube schon, dass Essen "draußen" dazu beiträgt, dem Essen die Schwere zu nehmen. 

7. Iss mit Freude und Genuss
Bring die Freude und den Genuss zurück zum Essen. Essen soll mit Genuss und nicht mit Schuldgefühlen verbunden sein. Erlaube dir, das Essen zu genießen.
Das ist ein Tipp, an dem ich absolut nichts auszusetzen habe. Ich selbst hatte den Genuss am Essen ziemlich schnell wieder gefunden, da ich mir schnell wieder die Sachen gekauft hatte, die mir gemundet haben. Sobald ich heute Zeit habe, zelebriere ich mein Essen. Ich habe eine Lieblingstasse und einen Lieblingsteller, dazu Besteck, das sich gut in der Hand anfühlt. All das trägt dazu bei, dass ich mein Essen genießen kann, und vielleicht hilft es auch, dass ich keine Billiglebensmittel mehr kaufe, sondern hauptsächlich bio. Ich tue mir mit dem Essen etwas Gutes- das ist die Botschaft, die ich mir mit dem Essen vermittle.

Geneen Roth bezeichnet diese Guidelines nicht als Regeln, sondern als Anleitungen der "Liebe" selbst. Die Liebe würde sagen, "setz dich in Ruhe hin und genieß das Essen. Fühl dich gut beim Essen."
Geneen Roth hat über das Verhältnis von Frauen zum Essen mehrere Bücher verfasst, u.a. "Essen als Ersatz" oder "Essen ist nicht das Problem":


Weitere Bücher findet ihr hier

Ein kleines Video über diese Guidelines findet ihr auch hier.

Mittwoch, 27. März 2013

Research Review: das transtheoretische Modell zur Behandlung von ED

Ziel der Studie: 
Warum sind so viele bulimische Patienten nicht motiviert, eine Therapie zu machen und an ihrem Verhalten etwas zu ändern?
Diese Studie hat Änderungsphasen bei Patienten untersucht und analysiert, welche Zusammenhänge zwischen klinischem Befund und den Behandlungsfortschritten mithilfe des Transtheoretischen Modells nach Prochaska bestanden. Von insgesamt 88 Patienten wurden 32 Bulimiker untersucht, 29 waren an Anorexie und weitere 27, die an Ednos (Eating disorder not otherwise specified) erkrankt waren.

Methoden: 
Zu Beginn der Studie wurde die Bereitschaft der Patienten zur Verhaltensänderung anhand einer Selbsteinschätzungs-Skala bewertet.
Die Therapeuten präsentierten den Patienten in 4 Sitzungen insgesamt 8 verschiedene Methoden, die diese zuhause anwenden sollten und gaben später ihre Einschätzung dazu ab, in welchem Maße diese Methoden von den Patienten umgesetzt worden waren.

Ergebnisse: 
Die größte Motivation war immer dann vorhanden, wenn sich der Patient eigenverantwortlich für eine Therapiemethode entschieden hatte.
Langfristige positive Veränderungen wurden erzielt, wenn der Patient emotional involviert war, wenn ihm spezifische Prozesse der Verhaltensänderung bekannt waren und wenn er eine langfristige Therapie anstrebte.
Es ist also wichtig, dass Therapeuten Rückmeldung über den Stand des Therapiefortschritts geben, insb. auf welcher Stufe (hier: des Transtheoretischen Modells) sich der Patient befindet, um Reflexion über das Geleistete und noch zu Leistende zu geben. 

Was ist das Transtheoretische Modell und was hat es mit Bulimie zu tun?


Hasler, G. et al.: Application of Prochaska´s transtheoretical model of change to patients with eating disorders, Journal of Psychosomatic Research, Zürich 2003.

Montag, 25. März 2013

Interview mit Theresa

An dieser Stelle nun das zweite Interview / der zweite Fragebogen von Seiten einer Leserin. 
Heute ist es Theresa:

Inwiefern hast du mit Essstörungen zu tun- seit wann bist du betroffen?
Habe seit 6 Jahren bewusst Essstörungen - erst Magersucht mit 16, hab mich von 72kg bei 177cm auf 47kg runtergehungert und extrem Sport getrieben. Das wäre auch noch weiter runtergegangen, wenn ich den Wunsch gehabt hätte, zur Polizeit zu gehen. Dafür braucht man einen BMI von mindestens 18. Habe dann etrem angefangen zu "fressen" und es hat sich die Bulimie entwickelt. Erst waren es nur Fressanfälle, dann habe ich angefangen, sie mit Hunger, dann mit Sport und später auch mit Erbrechen zu kompensieren. Beim Erbrechen bin ich hängengeblieben. Da war ich 20 - heute bin ich 22. Denke aber, dass ich vorher schon anfällig war, denn ich wollte immer schlank sein und nichts essen, aber meine Mutter hat mich so kontrolliert, dass ich immer viel esse, dass ich mich nicht getraut habe, zu hungern...mit 16 war ich im Krankenhaus mit einem Magenproblem, dann hab ich angefangen zu erzählen, dass der Arzt will, dass ich nur noch fettarm esse und nichts süßes mehr. Mit 17 bin ich ausgezogen. Meine Mutter hatte dann keine Kontrolle mehr und ich konnte endlich "schlank" werden.
Da ich zwischenzeitlich 2 mal in der Klinik war, hat sich mein Essverhalten gebessert, jedoch habe ich immer noch regelmäßig Fressanfälle, wenn Probleme auftreten. Das sind zwischen 4 und 7mal die Woche.

Was denkst du, steckt hinter deinem Essverhalten?
Meine Mutter. Ich wollte nie so aussehen wie sie, fand sie immer fett und aufgequollen, obwohl sie Normalgewicht hat. Später habe ich herausgefunden, dass sie auch Bulimie hat. Sie hat mein Leben lang versucht micht zu füttern und mir mehr zu geben, als sie gegessen hat. Wenn ich einmal nicht aufgegessen habe, hat sie Anspielungen gemacht, ob ich eine Essstörung hätte, obwohl mir sowas damals noch gar nicht in den Sinn gekommen wäre. Außerdem war da der Kontrollgedanke...ich musste irgendwie mein Leben kontrollieren, als ich mit 17 ausgezogen bin, bin ich zu meinem damaligen Freund gezogen, da hat sich wieder eine Abhängigkeit aufgebaut, aus der ich so schnell nicht rauskonnte.
Seit ich denken kann, fühle ich mich zu fett...Essen war immer mein Tröster, und dann wurde es zu meinem Feind. Wenn es als Kind Belohnungen gab für gute Noten etc, dann immer nur in Form von Essen. Meine Mutter hat mich früh vergiftet....

Wie würdest du einem Fremden beschreiben, warum du dich so verhältst? 
Ich würde sagen, dass es wie eine Sucht ist. Ein Alkoholiker braucht Alkohol, ich brauche Junkfood. Süßigkeiten, Fast Food, Chips, Kuchen...alles mit vielen Kalorien, was der Seele guttut. Und weil ich so eine Angst vor dem zunehmen habe, wird das ganze dann wieder erbrochen.

Was hindert dich daran, "normal" zu essen?
Meine Gier...meine Schwäche....und mir fehlt die "Ersatzdroge"...und eine Unausgeglichenheit, die Unzufriedenheit mit mir und meinem Leben. Konflikte aus der Vergangenheit, die ich noch nicht bewältigt habe, zb der Nichtkontakt zu meiner Mutter im Moment. Eine große innere Leere, ich bin mit freier Zeit oft überfordert und weiß nicht, was ich tun soll, außer zu essen, und dann wieder zu erbrechen.

Was würdest du machen, wenn du morgen aufwachen würdest und du könntest auf einmal ganz normal essen? Was würde sich in deinem Leben verändern?
Ja, vieles würde sich verändern. Ich würde rausgehen und mir die Welt anschauen, weil ich Dinge genießen könnte, ohne die ganze Zeit an Essen zu denken. Das ständige Denken an Essen beeinflusst mich in meinem gesamten Tun, ich kann kaum noch was genißen, weil ich immer an die nächste Mahlzeit oder Fessanfall denken muss, ohne einfach mal Essen als das zu sehen was es ist: Energiebringer und evtl. noch Genußmittel. Ich wäre selbstbewusster und hätte mehr Kraft die Dinge zu verwirklichen, die mir wirklich wichtig sind.

Eine Essstörung betrifft ja nicht nur das Essen. Welche Dinge machst du nicht wegen der Essstörung? Bzw. anders gefragt: welche Dinge würdest du machen können, deiner Meinung nach, wenn du normal essen würdest?
Meine Freundschaften besser pflegen - es wäre nicht mehr alles von essen abhängig. Ich könnte spontan einladungen annehmen, etwas zusammen zu kochen oder mir auch einfach mal nen Kaffee und nen gutes Stück Kuchen in der Stadt gönnen. Sport würde ich nicht mehr machen, um abzunehmen, sondern weil es meinem Körper wirklich guttut. Also auch nicht übermäßig. Beziehungen zu Freunden und Familie würden sich allgemein verbessern, ich hätte keine Panik mehr vor Geburtstagen und Feiertagen, weil ich ganz normal am Buffet/Kuchen usw teilnehmen könnte und mit den Leuten Kontake pflegen kann.

Hattest du konkret aufgrund des Essverhaltens schon einmal Angst um dein Leben? Was ist genau passiert?
Ich hatte in der Zeit meiner Magersucht Angst, bald ganz kraftlos zu sein, und nichts mehr machen zu können. Mein Herz ist gerast und mein Puls war extrem niedrig, ic h hatte Angst bleibende Schäden davonzutragen. Meine Regel ist sehr lange ausgelieben - ich hatte Angst, keine Kinder mehr bekommen zu können und das habe ich auch jetzt noch. Habe Angst meine Beziehung kaputtzumachen, weil ich mich fett fühle und mich nicht mehr traue, mich vor meinem Freund nackt zu zeigen.

Was würdest du jemandem sagen, der gerade dabei ist, in eine Essstörung abzurutschen, aber noch umkehren kann?
Vielleicht. Ein Mitbewohner von mir ist gerade dabei, extrem abzunehmen und sehr viel Sport zu machen. Er isst nur noch Eiweiss und ein bisschen Fett und versucht komplett auf Kohlenhydrate zu verzichten. Er hat schon viel abgenommen. Wenn es schlimmer wird würde ich mir überlegen, ihn ins Vertrauen zu ziehen und sagen, was es wirklich mit einer ES auf sich hat...Es hängt aber immer von der jeweiligen Person ab.

Was macht deiner Meinung nach eine gute Therapie aus?
Sie geht in die Tiefe, und versucht deine Ängste aufzudecken und wirklich daran zu arbeiten, was die ES ausgelöst hat. Der Therapeut sollte auch selbst nachhaken und versuchen, den Patienten aus der Reserve zu locken und ihm deutlich zu machen, dass er die Genesung wollen muss, ansonsten gibt es keine Besserung. Der Druck sollte nicht allzu hoch sein - trotzdem muss es Regeln geben, die man befolgt und einen in Situationen bringen, sein Verhalten zu überdenken. Ein Therapeut sollte verständnisvoll sein, aber auch ehrlich - immer nur liebtätschelnd in die Hand genommen zu werden, würde mir nicht helfen. Ich möchte etwas über mich und meine Vergangenheit erfahren - und über Möglichkeiten, wie ich meine Defizite in Zukunft bessern kann. Außerdem sollte die Therapie vielschichtig sein - nicht nur Gesprächstherapie, sondern auch Formen wie Kunst oder Musiktherapie, wo unbewusste Verhaltensmuster aufgedeckt werden, sollten gemacht werden, um alle Ebenen des Bewusstseins anzusprechen.

Danke, Theresa!

Samstag, 23. März 2013

Gewicht: Selbst- und Fremdwahrnehmung

"Jeder merkt mir sofort an, wenn ich zugenommen habe."

Solange außenstehende Personen kein tieferes Verständnis der Krankheit haben und man ihnen es nicht ständig auf die Nase bindet, werden sie keinen Unterschied feststellen, auch wenn das Gewicht um -/+ 5kg schwankt. Aufgefallen ist mir das erst vor kurzem bei einer nahestehenden Person (Mann), als wir über eine Dritte sprachen. Ich meinte, dass ihr Gewicht ja schon ziemlich fluktuiert, woraufhin er nur meinte, dass ihm das noch nie aufgefallen sei: "Wieso, sie sieht doch immer gleich aus." Das hat mir schon ziemlich zu denken gegeben.
Gelernt habe ich daraus, dass jemandem, dem solche Themen nicht wichtig sind, Gewichtsschwankungen nicht auffallen, und im Fall der dritten Person waren das bestimmt auch mal mehr als 5kg. 

Mittwoch, 20. März 2013

5 Schritte zum psychischen Wohlergehen

Die Anregung zu diesem Beitrag stammt von einem Video auf der Website des britischen nationalen Gesundheitsservices, dem NHS. Das NHS ist nicht exakt vergleichbar mit unserem Krankenkassensystem, da es im Gegensatz zu Deutschland öffentlich finanziert wird. Das NHS arbeitet sehr viel anwendungsbezogener und kommuniziert direkter mit den Bürgern, als man das z.B. von den deutschen Krankenkassen gewohnt ist. Werft mal einen Blick auf die vielseitigen Angebote auf der Seite www.nhs.uk/.

Aber um nicht Werbung im direkten Sinne zu machen, was mir und euch nichts bringen würde, zurück zum Thema "psychisches Wohlergehen". Das Video beschreibt 5 Schritte, die sich auf dem Weg zum psychischen Wohlergehen als wissenschaftlich wirksam erwiesen haben:

Link zum Video: klick hier



Montag, 18. März 2013

Interview mit Julia

Letztes Jahr habe ich mit einigen Betroffenen Interviews geführt. Die Fragen waren immer dieselben, da es per Email durchgeführt wurde. In den nächsten Wochen werden insgesamt 3 Interviews veröffentlicht- immer montags.
Ich freue mich sehr, heute das erste Interview mit euch teilen zu können.
Danke an dieser Stelle nochmal an alle, die teilgenommen haben!

Inwiefern hast du mit Essstörungen zu tun- seit wann bist du betroffen?
Ich bin seit fast 2 Jahren nun schon essgestört.
Anfangs war es Magersucht, nun stecke ich in so einer Mischung zwischen Bulimie und Magersucht. Ich weiß nicht wie ich das genauer beschreiben könnte. Wenn ich gerade nicht alles mögliche esse und wieder auskotze, esse ich nichts oder nur Obst und Gemüse, mehr geht schon lange nicht mehr ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Was denkst du, steckt hinter deinem Essverhalten?
Ich weiß es einfach nicht. Es könnte die Kontrolle sein, die ich in den anderen Lebensbereichen schon verloren habe, die ich darin suche. Mein Essverhalten kann ich kontrollieren, doch was will ich schon bei Streit mit Freunden oder Zoff in der Familie groß tun?

Wie würdest du einem Fremden beschreiben, warum du dich so verhältst? 
Uff das ist echt eine verdammt schwere Frage. Ich würde ihm sagen, weil ich perfekt sein will, mich gut fühlen will und dass, das in meinen Augen nur geht, wenn ich dünn bin und um dünn zu sein, muss ich das alles hier tun, aber das würde ein Fremder niemals verstehen, denn keiner denkt so wie Essgestörte.

Was hindert dich daran, "normal" zu essen?
Ganz leicht: Ich werde wieder hässlich & dick! Ich habe es schonmal versucht, weil ich ja auch in einer Klinik gewesen bin, aber als ich dort gesehen habe, dass ich in 3 Tagen schon 2 Kilo zugenommen hatte, ist eine Welt für mich zusammengebrochen. Ich werde einfach nicht normal essen können, ohne dem Hintergedanken wieder dick zu werden.
Außerdem bin ich Bulimikerin, da habe ich eh ein verdammt großes Problem mit dem Essen. Ich will einfach alles und dann auch noch in großen Mengen. Das könnte auch ein Grund dafür sein, dass ich nicht normal essen kann.

Was würdest du machen, wenn du morgen aufwachen würdest und du könntest auf einmal ganz normal essen? Was würde sich in deinem Leben verändern?
Ich hätte wieder meine Lebensfreude, ich wäre einfach wieder glücklich, könnte mich wieder gut fühlen. In meiner Freizeit hätte ich mehr Zeit für Freunde, Familie und Schule, das wäre echt toll, denn zur Zeit muss ich fast jedem Absagen, weil einfach das Essen an erster Stelle steht. Es würde sich verdammt viel verändern, da die Krankheit wirklich alles in deinem Leben in den Schatten stellt.

Eine Essstörung betrifft ja nicht nur das Essen. Welche Dinge machst du nicht wegen der Essstörung? Bzw. anders gefragt: welche Dinge würdest du machen können, deiner Meinung nach, wenn du normal essen würdest?
Ich würde mich einfach nicht mehr so oft mit dem Essen beschäftigen und nicht nur Sport machen, um die Kalorien zu verbrennen bzw wenn ich mich mies fühle wegen dem zu viel Gegessenem, sondern vielleicht auch weil ich Spaß daran finde ihn dann auch gemeinsam mit Freunden zu machen. Ich würde auch bei Auslandsaustauschen mitmachen können, was ein großer Traum von mir ist. Ganz abgesehen von Urlaub oder Klassenausflügen, die längere Tage andauern.

Hattest du konkret aufgrund des Essverhaltens schon einmal Angst um dein Leben? Was ist genau passiert?
Leider habe ich das gerade fast jeden Tag, wenn ich einmal wieder meine Fressanfälle habe. Mein Körper macht das einfach nicht mehr lange mit. Nach jedem Erbrechen kann ich mich kaum noch auf den Beinen halten und einmal bin ich sogar währenddessen zusammengebrochen und saß dann erstmal auf dem Boden, weil ich mich einfach nicht mehr bewegen konnte. Oder wenn das Essen nicht mehr rauskommt, habe ich schlimme Bauchschmerzen, meine Beine tragen mich nicht mehr wirklich, mein Gesicht wird knallrot und mir ist schlecht. Doch an aufhören kann ich leider immer noch nicht denken.

Was würdest du jemandem sagen, der gerade dabei ist, in eine Essstörung abzurutschen, aber noch umkehren kann?
Er soll aufhören, sofort, den wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich alles anders machen bzw hätte ich es nicht soweit kommen lassen. Außerdem würde ich ihm erklären, wie es mir geht und was ich gerade alles durchmachen muss, siehe dafür auch letzte Frage. Wenn diese Person danach noch in eine Essstörung abrutschen will, soll sie es doch. Sie wird danach schon selber sehen was sie davon hat und sich selber dafür hassen nicht auf mich gehört zu haben.

Was macht deiner Meinung nach eine gute Therapie aus?
Dem Betroffenem soll klargemacht werden, dass Essen etwas schoenes ist und es sollte zusammen ein Essensplan erstellt werden, bei dem die Person nicht gleich 1000 Kalorien auf einmal zu sich nehmen muss, sondern in kleinen Schritten nach oben, damit der Körper sich daran gewöhnt und nicht zu viel zunimmt.
(Das wäre jetzt in meinem Fall gut, da ich noch lange nicht untergewichtig bin, aber auch nicht wieder ins Übergewicht will).
Der Person soll zugehört werden und alles Themengebiete sollten abgesprochen werden. 


Danke, Julia, für deine offenen Antworten!

Samstag, 16. März 2013

Soziale Ängste und Bulimie

Soziale Ängste treten bei vielen Bulimikern auf, wobei man zwischen "Schüchternheit" und einer handfesten Sozialen Phobie unterscheiden muss. Schüchternheit kann als Vorläufer der SP begriffen werden, Schüchterne müssen allerdings nicht derart stark durch ihr Empfinden eingeschränkt sein wie Soziale Phobiker es sind.
Beiden liegt jedoch dieselbe Angst vor negativer Bewertung durch andere zugrunde.

Die Merkmale einer SP sind laut ICD-10:
  • Unangemessen starke Angst vor einer prüfenden Betrachtung durch andere Menschen in relativ kleinen Gruppen. In Menschenmengen tritt die Angst seltener oder nicht auf.
  • Die Furcht ist auf bestimmte soziale Situationen beschränkt. Sie kann in solchen Situationen auch überwiegen.
  • Vermeidung der angstauslösenden Situationen.
  • Der Beginn liegt häufig in der Jugend. 
Ich selbst würde mich während und auch noch längere Zeit nach der Bulimie als sozialphobisch beschreiben, da ich die Interaktion mit anderen als sehr belastend empfunden und dann auch nach Möglichkeit vermieden habe. Natürlich wusste ich, dass ich mir dadurch viele Erfahrungen vorenthielt, und mich im Grunde vom Leben selbst ausschloss. Ich begab mich so in einen geschützten Raum, der keinen Anlass für besonders positive und negative Gefühle gab. So erkläre ich mir heute auch, dass ich so jung aussehe- die Jahre haben keine Spuren in meinem Gesicht hinterlassen. Ich befand mich jahrelang in einem selbstgebauten Kokon.

Durch diese Verhaltensweise wurden die Ängste von Jahr zu Jahr schlimmer, und von Jahr zu Jahr wurde es schwieriger, den Rückstand aufzuholen und mich in der Interaktion mit anderen noch normal zu fühlen. Ich hatte immer den Eindruck, man würde es mir auf den ersten Blick ansehen, dass ich ein "komischer Kauz" bin, und dass ich mich lieber woanders aufgehalten hätte als unter Menschen- egal welche es waren. Selbst die, die mir wohlgesonnen waren und mich mochten, habe ich dadurch oft vor den Kopf gestoßen. Wie geht man mit jemandem um, der meine Anwesenheit ablehnt?

Nun ist es sicherlich interessant zu erfahren, wie ich mich aus der Käseglocke befreit habe. Diesen Schritt bin ich sehr langsam und wackelig gegangen. Er hat sich wieder über mehrere Jahre hingezogen.

Geholfen hat mir zunächst eine Art stoischer Ansatz. Die Stoiker sagen, dass nichts einen Menschen verletzen kann, auf das er keinen Einfluss hat. Nun könnte man sich eine Sichtweise aneignen, die dem Urteil anderer der eigenen Person gegenüber keine Bedeutung mehr beimisst, weil man nur in begrenztem Maße Einfluss darauf hat. Wenn ich also denke, dass andere sowieso denken, was sie wollen, und es mir infolge dessen egal ist (weil ich sowieso nur in begrenztem Maße Einfluss darauf haben kann), dann verliert diese Angst an Stärke.

Geholfen hat mir auch die Erfahrung, dass der Mensch sich selbst generell sehr viel stärker kritisiert als seinen Mitmenschen. Bei anderen denkt man sich oft "es wird schon seinen Grund haben, warum er dies oder jenes macht", bei einem selbst wertet man das Verhalten schneller als Fehler.

Aus meiner eigenen Erfahrung heraus glaube ich, dass jeder die soziale Phobie überwinden kann. Dabei ist es gut, sich selbst als einen Menschen zu sehen, der "auf dem Weg" ist, und sich immer nur mit sich selbst vergleicht. Selbst wenn man in gewissen Situationen noch schüchtern und gehemmt ist, kann es ein Fortschritt im Vergleich zum eigenen Verhalten in der Vergangenheit sein.

Auch gut ist es, sich Fehler zuzugestehen und, wie immer, eine eigene, ganz individuelle Persönlichkeit. Ein guter Ansatz kann sein, sich selbst nicht als "komisch" zu betrachten, sondern die eigenen scheinbaren Fehler als Teil der Persönlichkeit zu sehen. Erst die kleinen Fehler machen aus einem Menschen einen sympathischen Menschen. Es ist also sehr sehr wichtig, die vermeintlichen Fehler nicht alle ausmerzen zu wollen, sondern zu ihnen zu stehen.

Mittwoch, 13. März 2013

Scobel: "Essen - getäuscht und abgespeist"

Screenshot 3Sat-Mediathek
Begünstigen hochverarbeitete Lebensmittel Essattacken? Neben den bekannten appetitanregenden Stoffen wie Glutamat können auch andere chemische Verbindungen "Essdruck" auslösen.
In der Sendung "Essen- getäuscht und abgespeist" der Scobel-Reihe auf 3Sat geht es darum, wie unsere Lebensmittel verarbeitet werden und welche Folgen das für den Konsumenten haben kann.

Hier kommt ihr zur Mediathek.

Eine Fortsetzung der Thematik - mit besonderem Augenmerk auf die Stoffe Kasein und Exorphin - ist bereits im Kasten und wartet ab nächstem Samstag auf euch ;)

Samstag, 9. März 2013

Zähne schützen

Ein nicht unwesentlicher Teil des Problems bei der Bulimie sind die der Magensäure ausgesetzten Zähne. Ich mache generell keine Werbung auf diesem Blog, in diesem Fall möchte ich aber auf ein Produkt hinweisen, dass die Zähne in gewissem Maße vor der Säure schützt: es handelt sich um Elmex Gelée. Es legt sich wie ein Schutzmantel um den Zahn und verhindert so den Säureangriff. Die Tube kostet um die 5 Euro und hält eine gefühlte Ewigkeit; und es ist wirklich eine sinnvolle Investition in intakte Zähne.

Aktualisierung vom 19.03.2013: Nach eingehenden Recherchen fand ich heraus, dass das in Elmex Gelée enthaltene Natriumfluorid giftig ist und auch als Insektizid verwendet wird. Von einer Anwendung als Zahnpflegemittel kann ich daher nur dringend abraten. Bitte informiert euch über diesen Stoff, der auch in den meisten herkömmlichen Zahncremes vorkommt.

Mittwoch, 6. März 2013

Das Recht auf schlechte Laune

Wenn ich zurück denke an die ersten symptomfreien Jahre, muss ich sagen, war das eine schwere Zeit. Ich hatte damals noch diese Vorstellung, es allen recht machen zu müssen und irgendwie "konstant" zu sein. Und vor allem: konstant gut drauf zu sein. Im Nachhinein muss ich sagen: es wäre für mich und die anderen besser gewesen, wenn ich mir erlaubt hätte, mal nach außen hin sichtbar schlecht drauf zu sein. Denn es ist mit der schlechten Laune wie mit der eigenen Meinung: wenn man immer nur konform geht mit den anderen - und gut drauf zu sein ist irgendwie das, was anscheinend erwartet wird - dann führt es unweigerlich dazu, irgendwann als eigenständige Person nicht mehr wahrgenommen zu werden. Man geht unter in all den lächelnden Fassaden, den eintönigen Meinungen, dem weichgewaschenen Geplänkel, das von allen Seiten herabprasselt.
Als ich irgendwann erkannte, dass ich sehr wohl ein Recht auf schlechte Laune habe, sozusagen ein Geburtsrecht, hat mir das mein Leben enorm erleichtert. Genauso wie das Recht, auszusehen wie ich will, und auch mal scheiße auszusehen. Mal ein bisschen mehr auf den Hüften zu haben als sonst, weil ich gerade keine Lust auf Sport habe. Mal nicht geschminkt zu sein. Mal nicht nett zu sein. Mal jemandem die Wahrheit ungeschminkt ins Gesicht zu sagen.

Update vom 26.03.2013: Dr. Arnold Retzer, Koryphäe auf dem Gebiet der Psychotherapie und Autor des Buches "Miese Stimmung" meint in Bambule auf ZDFneo (Sendung vom 07.03.2013) sinngemäß: Man muss dazu stehen können, schlechte Laune zu haben. Schlechte Laune muss man gar nicht ausleben, sie kommt auf einen zu."

Samstag, 2. März 2013

Skillsammlung

Mit diesem Beitrag nehme ich Bezug auf meinen Artikel Die "Was brauche ich wirklich"-Liste. Im Vita Urbana - Forum habe ich eine Broschüre mit einer äußerst differenzierten Skillsammlung gefunden, die meine kleine Liste um Längen übertrifft.


Vita Urbana ist ein Forum für Menschen, die mit psychischen Störungen, wie z.B. einer Essstörung, leben. Auf 15 Seiten erstrecken sich die Tipps zum Umgang mit Gefühlen, die einen Essanfall auslösen können. Ich kann euch diese Broschüre wirklich ans Herz legen.

Bevor auf die konkreten Tipps eingegangen wird, wird dazu geraten, die Situation zu analysieren:

"In schriftlicher Form hat man deutlicher vor Augen, was zu analysieren ist. Aufschreiben, wie man sich fühlt und warum wäre also ein Ansatz.
Wenn es Ärger mit einer bestimmten Person gab, versuche dir vorzustellen, wie die Situation aus Sicht des Anderen erlebt wurde und wie er oder sie sich jetzt fühlt.
Alle schlechten Gedanken aufzuschreiben und dann diesen Zettel zu verbrennen, zerreissen oder zu zerknüllen kann den notwendigen emotionalen Abstand untermauern." (S. 4)


Anschließend folgen die konkreten Tipps zum Umgang mit den eigenen Gefühlen. Hierbei wird zwischen mehreren Formen der ... unterschieden:

  • Ablenkung: Hier hilft z.B. "Einen Ausflug machen, z.B. ins Museum, in den Zoo, in ein
    gemütliches Café, ins Kino, auf einen Flohmarkt/Kunsthandwerkermarkt, in einen Park oder ein Naturschutzgebiet fahren. Zu diesem Zweck könnte man, wenn man Lust hat, im Vorfeld bereits herausfinden, was es in der Region zu sehen gibt und wo man gern mal hingehen würde; dazu kann man dann eine Liste schreiben, von der man bei Lust auf Luftveränderung nur einen Punkt auswählen muss. Wenn man Lust auf ein bisschen Abenteuer hat: Mit geschlossenen Augen einen Stift in den Stadtplan stechen und an diese Stelle fahren und herausfinden, was es dort zu entdecken gibt.
    Oder auch: Von der Heimatstadt - oder der nächstgrößeren Stadt - einen Stadtführer für Touristen kaufen. Bestimmt findet man auf diese Weise viel Unbekanntes oder sieht das Vertraute mit einem ganz neuen Blick an"
    (S. 7).
  • Zwischenmenschliches: In diesem Fall könnte man folgendes tun: "Rede mit jemandem über deinen Ärger oder lass dich ablenken: Chatte oder telefoniere beispielsweise" (S. 8).
  • Sinneswahrnehmung (Schmecken / Riechen / Hören / Sehen / Fühlen): Hier könnte man beispielsweise einen Igelball kneten, den man in der Drogerie erhält und der sich mehrfach zur Entspannung bewährt hat (S. 11). 
  • Energie entladen: Ersatzhandlungen: um Wut und andere negative Gefühle loszuwerden, kann man z.B. Telefonbücher zerreißen oder auch billiges Geschirr zerstören, das man sich vorher extra für diesen Zweck angeschafft hat (S. 12).
  • Danach gibt es noch Tipps für die Vorbeugung von selbstverletzendem Verhalten.
Was mir auch sehr gut gefällt, ist die anschließende Beschreibung des Notfallkoffers, einer "Schatzkiste gegen Rückfälle" (S. 13). Er beinhaltet Gegenstände für die vorher genannten Skills, wie z.B. den Igelball, aber auch Fotos von vetrauten Personen oder einer Liste mit Menschen, die man anrufen könnte (S. 13ff).

Links:
Link zum Download der Skillsammlung
Forum von Vita Urbana

Anmerkung am 10.03.2013: Vielen Dank an die Urheberin 36degrees, die sich mit der Veröffentlichung der Textpassagen einverstanden erklärt hat. Die Linksammlung wurde von ihr aktualisiert, daher wird der Artikel derzeit dahingehend überarbeitet.

Mittwoch, 27. Februar 2013

Binge Eating- Episoden: Weitermachen nach einem FA

Wenn du keiner der typischen Bulimiker bist sondern auch Binge Eating- Episoden durchlebst und dich dann gar nicht übergibst, hast du sicherlich schon des öfteren folgende Szenerie erlebt: du wachst auf, am ganzen Körper angeschwollen, weil du am Abend / der Nacht zuvor einen FA hattest.
Ich will dir für diese Situationen ein paar handfeste Tipps geben, die mir selbst geholfen haben, den Tag zu überstehen.

Aufstehen:
Ok, aufstehen klingt nach einer nicht sehr großen Überwindung. Ich z.B. neigte damals aber oft dazu, im Bett zu bleiben und mich von der Schule, dem Studium oder der Arbeit krankzumelden. Was darin endete, dass ich nicht aufstand, den ganzen Tag im Schlafanzug oder Bademantel durch die Wohnung kroch, um irgendwann im Lauf des Tages in den nächsten FA zu stolpern, weil es "eh schon egal war". Mir hat es damals sehr geholfen, mich zu duschen und normal anzuziehen, d.h. keine Jogginghose oder Gammelpullover.

Angenehm kleiden: 
Duschen, hübsch machen, schminken und anziehen. Mit angenehm kleiden meine ich solche Kleidung, die nicht einschnürt, also nicht zu eng ist, aber auch keine Schlabberkleidung. Bei mir war es immer eine Art verhüllender Blazer oder andere mehrlagige Kleidung, ein schönes Tuch, das vom Körper ablenkt. Ich erkläre mir die Wirkung damit, dass diese äußere Ordnung großen Einfluss auf das Empfinden nimmt, und einem selbst den Eindruck vermittelt, etwas bewirken zu können anstatt ausgeliefert zu sein. Es hilft dabei, sich einfach generell besser zu fühlen, als den eigenen Fokus immer auf den aufgeblähten Bauch oder die etwas wabbeligeren Beine zu richten.

Morgendliches Ritual: 
Nach dem Aufstehen koche ich mir normalerweise, noch während ich unter der Dusche stehe, einen Kaffee. Das habe ich auch nach einer FA-Nacht / einem FA-Abend gemacht. Es hilft dabei, mich nicht in einen Ausnahme-/ Krankheitszustand abdriften zu lassen.

Zur Arbeit / Uni / etc. gehen: 
Im Nachhinein würde ich schätzen, dass ich in 95% der Fälle wieder einen FA hatte, wenn ich zuhause geblieben bin. Soviel Zeit, ein ganzer Tag, und dann die negative Erinnerung vom FA am Vortag summiert sich irgendwann zum regelrechten Drang nach einem neuen FA. Das typische "ist ja jetzt eh schon egal" kommt durch, und wenn man zuhause sitzt und sich nicht ablenken kann, hat man fast keine Chance, diesem Drang nicht nachzugeben. Sobald man aber das Haus verlässt und seinem geregelten Tagesgeschäft nachgeht, muss man sich später auch nicht blöd vorkommen, weil man an diesem Tag etwas verpasst hat, blau gemacht hat oder irgendjemanden angelogen hat. So zu tun als ob verbessert auch nicht unbedingt die Laune, ich zumindest kam mir dabei immer ziemlich blöd und unauthentisch vor. Seit ich keine Bulimie mehr habe, bin ich, einmal alle 2 Jahre wirklich so krank, dass ich im Bett bleiben muss. Das nur mal zum Vergleich. Jeden Monat einmal krank zu sein, ist also schon extrem viel.

Essen?!
An dieser Stelle will ich euch nichts vormachen. Ich halte nichts von den üblichen Tipps, "ganz normal weiterzuessen", wenn man einen FA mit sich herumträgt. Der Körper hat viel damit zu tun, die augenommenen Kalorien zu verteilen. Physiologisch ist das recht einfach zu erklären. Nach einem FA ist das Blut voller Nährstoffe. Auch mit ein Grund, warum man beim Aufwachen nach dem FA gelegentlich stärkeres Herzklopfen spürt. Das Blut pulsiert regelrecht, weil es die Nährstoffe durch den Körper pumpen muss. All das hängt natürlich davon ab, wieviel beim FA gegessen wurde. Bei mir waren es immer mehrere Tausend Kalorien. Am ersten Tag nach dem FA habe ich daher meistens viel getrunken und weniger gegessen. Den morgendlichen Kaffee und über den Tag verteilt einfach mehrere Getränke, Wasser, Tee, Saftschorlen, oder was sonst gut schmeckt. Am Nachmittag fühlt man sich dann schon wieder etwas normaler. Wenn es geht, kann man dann abends auch schon wieder Sport machen, was morgens oft wegen der Aufschwemmungen noch gar nicht möglich ist.

Körpergerüche
Ein unangenehmer Part des nächsten Tages sind auch die Körpergerüche- von Schweißattacken bis hin zu Blähungen. Die Schweißattacken sind gut mit Achselpads einzudämmen. Es gibt sie im Drogeriemarkt. Man kann sie sich ins Oberteil kleben und die lästige Schweißflecken verhindern. In jedem Fall sollte man sich jedoch Deo mit einpacken, damit man für spontane Schweißausbrüche gerüstet ist. Man fährt natürlich auch gut mit schweißunabhängiger Kleidung, also am besten schwarze oder weiße Oberteile, bei denen nasse Stellen nicht auffallen. Aber bevor ich unnötig verunsichere, will ich auch gleich entwarnen, denn diese Probleme hat sicherlich nicht jede(r), und wenn, dann verschwinden sie meist im Lauf des Tages.
Wegen der Blähungen möchte ich euch an dieser Stelle keine Tipps geben. Ihr könnt mir aber gern eine vertrauliche Mail an jo@bulimieneindanke schreiben. Ich schicke euch dann den unveröffentlichten Teil dieses Artikels.

Hohe Körpertemperatur
Am Tag nach dem FA kann es sein, dass der Körper seine Temperatur erhöht, um auf diesem Weg überschüssige Kalorien zu verbrennen. Sie werden in Wärme umgewandelt. Wenn man die Möglichkeit hat, ein Fenster zu öffnen, um die Raumtemperatur zu senken, tut man seinem Körper also wirklich etwas gutes. Auch Wasser zu trinken kann hier gut helfen.

Heilung von Bulimie = Veränderung: Prof. Hüther zum Thema "Change"

Hier ein interessantes Video eines Vortrags von Prof. Gerald Hüther zum Thema Veränderung, das ich gern mit euch teilen möchte:




Samstag, 23. Februar 2013

Wie das Essverhalten Einfluss auf künftige Generationen hat: Epigenetik

Vor etwas längerer Zeit bin ich auf dieses Video gestoßen. Es geht um den Einfluss der Ernährung auf das Erbgut. Im größeren Kontext handelt es sich dabei um Epigenetik. Epigenetik bezeichnet die Fähigkeit von Genen, bestimmte Sequenzen sozusagen an- und auszuschalten. Eine gute Ernährung kann also bewirken, dass gewisse Krankheitsmarker auf den Genen ausgeschaltet werden, so dass sie im Erbgut der Nachkommen nicht mehr vorkommen.
Während des Zweiten Weltkriegs waren große Teile der Niederlande von einer Hungersnot betroffen. Forscher haben herausgefunden, dass noch die Enkel der Frauen, die in dieser Zeit schwanger waren, häufiger von bestimmten Krankheiten wie Krebs betroffen sind. Forscher konnten diesen Zusammenhang darauf zurückführen, dass Genabschnitte mit den Krankheitsveranlagungen auf die Kinder weiterverererbt wurden, die nur im Zustand der Mangelernährung aktiviert waren.
Ganz vereinfacht dargestellt kann man also sagen, dass sich das Verhalten eines Menschen auch in seinen Genen wiederspiegelt und dass der Mensch sein Erbgut beeinflusst, ob er will oder nicht.


Das Video zum Thema findet ihr hier