An dieser Stelle nun das zweite Interview / der zweite Fragebogen von Seiten einer Leserin.
Heute ist es Theresa:
Inwiefern hast du mit Essstörungen zu tun- seit wann bist du betroffen?
Habe
seit 6 Jahren bewusst Essstörungen - erst Magersucht mit 16, hab mich
von 72kg bei 177cm auf 47kg runtergehungert und extrem Sport getrieben.
Das wäre auch noch weiter runtergegangen, wenn ich den Wunsch gehabt
hätte, zur Polizeit zu gehen. Dafür braucht man einen BMI von mindestens
18. Habe dann etrem angefangen zu "fressen" und es hat sich die Bulimie
entwickelt. Erst waren es nur Fressanfälle, dann habe ich angefangen,
sie mit Hunger, dann mit Sport und später auch mit Erbrechen zu
kompensieren. Beim Erbrechen bin ich hängengeblieben. Da war ich 20 -
heute bin ich 22. Denke aber, dass ich vorher schon anfällig war, denn
ich wollte immer schlank sein und nichts essen, aber meine Mutter hat
mich so kontrolliert, dass ich immer viel esse, dass ich mich nicht
getraut habe, zu hungern...mit 16 war ich im Krankenhaus mit einem
Magenproblem, dann hab ich angefangen zu erzählen, dass der Arzt will,
dass ich nur noch fettarm esse und nichts süßes mehr. Mit 17 bin ich
ausgezogen. Meine Mutter hatte dann keine Kontrolle mehr und ich konnte
endlich "schlank" werden.
Da ich zwischenzeitlich 2 mal in
der Klinik war, hat sich mein Essverhalten gebessert, jedoch habe ich
immer noch regelmäßig Fressanfälle, wenn Probleme auftreten. Das sind
zwischen 4 und 7mal die Woche.
Was denkst du, steckt hinter deinem Essverhalten?
Meine
Mutter. Ich wollte nie so aussehen wie sie, fand sie immer fett und
aufgequollen, obwohl sie Normalgewicht hat. Später habe ich
herausgefunden, dass sie auch Bulimie hat. Sie hat mein Leben lang
versucht micht zu füttern und mir mehr zu geben, als sie gegessen hat.
Wenn ich einmal nicht aufgegessen habe, hat sie Anspielungen gemacht, ob
ich eine Essstörung hätte, obwohl mir sowas damals noch gar nicht in den
Sinn gekommen wäre. Außerdem war da der Kontrollgedanke...ich musste
irgendwie mein Leben kontrollieren, als ich mit 17 ausgezogen bin, bin
ich zu meinem damaligen Freund gezogen, da hat sich wieder eine
Abhängigkeit aufgebaut, aus der ich so schnell nicht rauskonnte.
Seit
ich denken kann, fühle ich mich zu fett...Essen war immer mein Tröster,
und dann wurde es zu meinem Feind. Wenn es als Kind Belohnungen gab für
gute Noten etc, dann immer nur in Form von Essen. Meine Mutter hat mich
früh vergiftet....
Wie würdest du einem Fremden beschreiben, warum du dich so verhältst?
Ich
würde sagen, dass es wie eine Sucht ist. Ein Alkoholiker braucht
Alkohol, ich brauche Junkfood. Süßigkeiten, Fast Food, Chips,
Kuchen...alles mit vielen Kalorien, was der Seele guttut. Und weil ich
so eine Angst vor dem zunehmen habe, wird das ganze dann wieder
erbrochen.
Was hindert dich daran, "normal" zu essen?
Meine
Gier...meine Schwäche....und mir fehlt die "Ersatzdroge"...und eine
Unausgeglichenheit, die Unzufriedenheit mit mir und meinem Leben.
Konflikte aus der Vergangenheit, die ich noch nicht bewältigt habe, zb
der Nichtkontakt zu meiner Mutter im Moment. Eine große innere Leere,
ich bin mit freier Zeit oft überfordert und weiß nicht, was ich tun
soll, außer zu essen, und dann wieder zu erbrechen.
Was
würdest du machen, wenn du morgen aufwachen würdest und du könntest auf
einmal ganz normal essen? Was würde sich in deinem Leben verändern?
Ja,
vieles würde sich verändern. Ich würde rausgehen und mir die Welt
anschauen, weil ich Dinge genießen könnte, ohne die ganze Zeit an Essen
zu denken. Das ständige Denken an Essen beeinflusst mich in meinem
gesamten Tun, ich kann kaum noch was genißen, weil ich immer an die
nächste Mahlzeit oder Fessanfall denken muss, ohne einfach mal Essen als
das zu sehen was es ist: Energiebringer und evtl. noch Genußmittel. Ich
wäre selbstbewusster und hätte mehr Kraft die Dinge zu verwirklichen,
die mir wirklich wichtig sind.
Eine
Essstörung betrifft ja nicht nur das Essen. Welche Dinge machst du
nicht wegen der Essstörung? Bzw. anders gefragt: welche Dinge würdest du
machen können, deiner Meinung nach, wenn du normal essen würdest?
Meine
Freundschaften besser pflegen - es wäre nicht mehr alles von essen
abhängig. Ich könnte spontan einladungen annehmen, etwas zusammen zu
kochen oder mir auch einfach mal nen Kaffee und nen gutes Stück Kuchen
in der Stadt gönnen. Sport würde ich nicht mehr machen, um abzunehmen,
sondern weil es meinem Körper wirklich guttut. Also auch nicht
übermäßig. Beziehungen zu Freunden und Familie würden sich allgemein
verbessern, ich hätte keine Panik mehr vor Geburtstagen und Feiertagen,
weil ich ganz normal am Buffet/Kuchen usw teilnehmen könnte und mit den
Leuten Kontake pflegen kann.
Hattest du konkret aufgrund des Essverhaltens schon einmal Angst um dein Leben? Was ist genau passiert?
Ich
hatte in der Zeit meiner Magersucht Angst, bald ganz kraftlos zu sein,
und nichts mehr machen zu können. Mein Herz ist gerast und mein Puls war
extrem niedrig, ic h hatte Angst bleibende Schäden davonzutragen. Meine
Regel ist sehr lange ausgelieben - ich hatte Angst, keine Kinder mehr
bekommen zu können und das habe ich auch jetzt noch. Habe Angst meine
Beziehung kaputtzumachen, weil ich mich fett fühle und mich nicht mehr
traue, mich vor meinem Freund nackt zu zeigen.
Was würdest du jemandem sagen, der gerade dabei ist, in eine Essstörung abzurutschen, aber noch umkehren kann?
Vielleicht.
Ein Mitbewohner von mir ist gerade dabei, extrem abzunehmen und sehr
viel Sport zu machen. Er isst nur noch Eiweiss und ein bisschen Fett und
versucht komplett auf Kohlenhydrate zu verzichten. Er hat schon viel
abgenommen. Wenn es schlimmer wird würde ich mir überlegen, ihn ins
Vertrauen zu ziehen und sagen, was es wirklich mit einer ES auf sich
hat...Es hängt aber immer von der jeweiligen Person ab.
Was macht deiner Meinung nach eine gute Therapie aus?
Sie
geht in die Tiefe, und versucht deine Ängste aufzudecken und wirklich
daran zu arbeiten, was die ES ausgelöst hat. Der Therapeut sollte auch
selbst nachhaken und versuchen, den Patienten aus der Reserve zu locken
und ihm deutlich zu machen, dass er die Genesung wollen muss, ansonsten
gibt es keine Besserung. Der Druck sollte nicht allzu hoch sein -
trotzdem muss es Regeln geben, die man befolgt und einen in Situationen
bringen, sein Verhalten zu überdenken. Ein Therapeut sollte
verständnisvoll sein, aber auch ehrlich - immer nur liebtätschelnd in
die Hand genommen zu werden, würde mir nicht helfen. Ich möchte etwas
über mich und meine Vergangenheit erfahren - und über Möglichkeiten, wie
ich meine Defizite in Zukunft bessern kann. Außerdem sollte die
Therapie vielschichtig sein - nicht nur Gesprächstherapie, sondern auch
Formen wie Kunst oder Musiktherapie, wo unbewusste Verhaltensmuster
aufgedeckt werden, sollten gemacht werden, um alle Ebenen des
Bewusstseins anzusprechen.
Danke, Theresa!
Danke, Theresa!
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