Mittwoch, 20. Februar 2013

Neuroplastizität, oder warum geheilte Bulimie keine lebenslange Qual ist

Die Heilung von Bulimie bedeutet nicht, dass ihr euch lebenslang mit quälenden Essanfalls-Wünschen herumschlagen müsst. Es gibt hierfür sogar einen wissenschaftlichen Beweis: die neuronale Plastizität. Dieser Begriff beschreibt den Umstand, dass sich Verhaltensänderungen auch in der Beschaffenheit des Gehirns widerspiegeln.

Ein (auch zur Bulimie passendes Experiment) hat übergewichtige Probanden mit Essanfallsstörung untersucht. Durch Computertomografien wurde festgestellt, dass diese Personen stark auf hochkalorische Lebensmittel reagieren (entsprechende Teile des Gehirns waren besonders stark aktiviert). Nachdem sie sich erfolgreich einer Therapie unterzogen hatten und keine Essanfälle mehr hatten, wurde dieser Test erneut durchgeführt. Nun zeigten die entsprechenden Bereiche des Gehirns keine auffällige Reaktion mehr.

Neu ist dieses Thema ja nicht: durch ein bestimmtes Verhalten kann ich in einem Bereich meines Gehirns neue neuronale Verknüpfungen wachsen lassen, die dann wiederum das Verhalten unterstützen und irgendwann automatisiert ablaufen lassen, so dass ich mich nicht mehr anstrengen muss. Wenn mein Ziel also ist, in aufreibenden Situationen keinen Fressanfall mehr zu schieben, trainiere ich meinem Gehirn neue Verhaltensweisen an und schaffe neue Verbindungen. Die alten Verbindungen zum Essanfall sind dann irgendwann so schwach, dass es mir wiederum wahrscheinlich schwer fallen würde, in dieses alte Muster zu verfallen. Stattdessen ist es für mich automatisch und ganz leicht möglich, meine Gefühle auf andere Art und Weise zu verarbeiten. Es ist sozusagen eine neue Gefühlsautobahn entstanden, der Rasthof "Essanfall" wurde abgerissen und an dessen Stelle entstand "Wohlfühl-Oase Körper".

Samstag, 16. Februar 2013

Was steckt hinter der Bulimie?

Der klassische Satz in der Bulimietherapie lautet ja: "Fressen und Kotzen sind nicht das Problem, sie sind nur ein Problem für das, was dahinter steckt." Klar, dem kann auch ich nur zustimmen.
Das Problem dabei ist, dass viele dieses "was dahinter steckt" nie herausfinden. Es gibt Achtzigjährige, die sich ihr Leben lang etwas vorgespielt haben. Und um das zu tun, muss man nicht einmal Bulimie haben, nein, man kann sein wahres Ich auch unter schönen Deckmäntelchen verstecken, man kann sich übertrieben anpassen, sich perfektionistisch, ängstlich, schüchtern oder auch einfach arrogant verhalten.
Dass viele Menschen es nicht herausfinden und sich infolge dessen nicht "natürlich" verhalten, ist keine Angelegenheit, die nur den und insbesondere die Einzelne betrifft. Es liegt, soviel weiß ich heute, an unserer Gesellschaft, unserer Sozialisation.
"Das was dahinter steckt" hat nichts mit der Vergangenheit zu tun, es ist kein Vorfall aus der Kindheit und es ist auch nichts, was so groß ist, dass ich jahrelang danach graben muss.
Aber was ist es dann?
Clarissa Pinkola-Estes schließt dieses unnatürliche Verhalten auf eine Verletzung des Instinkts zurück. Dies geschieht oft bereits im Kindesalter. Es passiert, wenn ein Kind daran gehindert wird, seine Kreativität auszuleben. Um das zu veranschaulichen, passt Hans Christian Andersens Märchen der Roten Schuhe sehr gut:

"Da war ein kleines Mädchen, fein und niedlich, aber im Sommer mußte sie immer mit bloßen Füßen gehen, denn sie war arm, und im Winter mit großen Holzschuhen, sodaß der kleine Fuß ganz rot wurde, und das sah zum Erbarmen aus.
Mitten im Dorfe wohnte die alte Mutter Schuhmacher, sie saß und nähte, so gut sie konnte, von alten, roten Tuchstreifen ein Paar kleine Schuhe. Sie waren ganz plump, aber es war gut gemeint, die sollte das kleine Mädchen haben. Das kleine Mädchen hieß Marie.
Gerade an dem Tage, als ihre Mutter begraben wurde, erhielt sie die roten Schuhe und hatte sie zum ersten Male angezogen. Freilich war es nicht, um damit zu trauern, aber sie hatte keine andern, daher ging sie mit diesen hinter dem ärmlichen Sarge her.
Da kam auf einmal ein großer Wagen, und darin saß eine alte Dame; sie betrachtete das kleine Mädchen und fühlte Mitleid mit ihr, und dann sagte sie zum Prediger: »Hört, gebt mir das kleine Mädchen, dann werde ich mich ihrer annehmen!«
Marie glaubte, das geschehe alles nur der roten Schuhe wegen, aber die alte Dame meinte, die seien greulich, und sie wurden verbrannt. Marie selbst aber wurde rein und ordentlich angezogen; sie mußte lesen und nähen lernen, und die Leute sagten, sie sei niedlich, aber der Spiegel sagte: »Du bist weit mehr als niedlich, Du bist schön!«
Da reiste die Königin einst durch das Land und hatte ihre kleine Tochter bei sich, das war eine Prinzessin, und die Leute strömten nach dem Schlosse hin, und da war Marie denn auch, und die kleine Prinzessin stand in feinen, weißen Kleidern am Fenster und ließ sich anstaunen, sie hatte weder Schleppe noch Goldkrone, aber herrliche, rote Saffianschuhe, die freilich weit schöner waren, als die, welche die Mutter Schuhmacher der kleinen Marie genäht hatte. Nichts in der Welt kann doch mit roten Schuhen verglichen werden!
Nun war Marie so alt, daß sie eingesegnet werden sollte, sie bekam neue Kleider, und neue Schuhe sollte sie auch haben. Der Schuhmacher in der Stadt nahm Maß zu ihrem kleinen Fuß, das geschah zu Hause in seinem eigenen Zimmer, und da standen große Glasschränke mit niedlichen Schuhen und glänzenden Stiefeln. Das sah allerliebst aus, aber die alte Dame konnte nicht gut sehen und da hatte sie kein Vergnügen daran. Mitten unter den Schuhen standen ein Paar rote, ganz wie die, welche die Prinzessin getragen hatte; wie schön waren die! Der Schuhmacher sagte auch, daß sie für ein Grafenkind gemacht seien, sie hätten aber nicht gepaßt.
»Das ist wohl Glanzleder?« fragte die alte Dame. »Sie glänzen so!«
»Ja, sie glänzen!« sagte Marie, und sie paßten und wurden gekauft, aber die alte Dame wußte nichts davon, daß sie rot waren, denn sie hätte Marie nie erlaubt, in roten Schuhen zur Einsegnung zu gehen, aber das that sie nun.
Alle Menschen betrachteten ihre Füße, und als sie zur Chorthür über die Kirchenschwelle hinschritt, kam es ihr vor, als wenn selbst die alten Bilder auf den Begräbnissen, die Prediger und Predigerfrauen mit steifen Kragen und langen, schwarzen Kleidern, die Augen auf ihre roten Schuhe hefteten, und nur an diese dachte sie, als der Prediger seine Hand auf ihr Haupt legte und von der heiligen Taufe, vom Bunde mit Gott, und daß sie nun eine erwachsene Christin sein solle, sprach. Die Orgel spielte feierlich, die hübschen Kinderstimmen sangen und der alte Lehrer sang, aber Marie dachte nur an die roten Schuhe.
Am Nachmittage erfuhr die alte Dame von den Leuten, daß die Schuhe rot gewesen, und sie sagte, daß es häßlich sei und sich das nicht schicke, daß Marie später, wenn sie zur Kirche gehe, immer mit schwarzen Schuhen gehen solle, selbst wenn sie alt seien.
Am nächsten Sonntage war Abendmahl, und Marie betrachtete die schwarzen Schuhe, sie besah die roten – und besah sie wieder und zog die roten an.
Es war ein herrlicher Sonnenschein; Marie und die alte Dame gingen den Fußsteig durch das Korn entlang, da stäubte es ein wenig.
An der Kirchthür stand ein alter Soldat mit einem Krückstocke und mit einem wunderbar langen Barte, der war mehr rot als weiß, und er neigte sich bis zur Erde und fragte die alte Dame, ob er ihre Schuhe abwischen dürfe. Marie streckte auch ihren kleinen Fuß aus. »Sieh, was für schöne Tanzschuhe!« sagte der Soldat, »sitzt fest, wenn Ihr tanzt!« und dann schlug er mit der Hand gegen die Sohlen.
Die alte Dame gab dem Soldaten ein Almosen und dann ging sie mit Marie in die Kirche.
Alle Menschen drinnen sahen nach Mariens roten Schuhen, und alle Bilder sahen danach, und als Marie vor dem Altar kniete und den goldenen Kelch an ihren Mund setzte, dachte sie nur an die roten Schuhe, und es war ihr, als ob sie im Kelch herum schwimmen; und sie vergaß ihren Psalm zu singen, sie vergaß ihr »Vater unser« zu beten.
Nun gingen alle Leute aus der Kirche, und die alte Dame stieg in ihren Wagen. Marie erhob den Fuß, um nachzusteigen, da sagte der alte Soldat: »Sieh, was für schöne Tanzschuhe!« und Marie konnte nicht umhin, sie mußte einige Tanztritte machen, und als sie anfing, fuhren die Beine fort zu tanzen, es war gerade, als hätten die Schuhe Macht über sie erhalten. Sie tanzte um die Kirchenecke, sie konnte es nicht lassen, der Kutscher mußte hinterher laufen und sie greifen, und er hob sie in den Wagen, aber die Füße fuhren fort zu tanzen, sodaß sie die gute, alte Dame gewaltig trat. Endlich zog sie die Schuhe aus und die Beine erhielten Ruhe.
Daheim wurden die Schuhe in einen Schrank gestellt, aber Marie konnte nicht unterlassen, sie zu betrachten.
Nun lag die Dame krank darnieder, es hieß, sie werde nicht wieder gesund. Gepflegt und gewartet mußte sie werden und niemand war dazu mehr verpflichtet als Marie. Aber in der Stadt war ein großer Ball. Marie war eingeladen; – sie betrachtete die alte Dame, die doch nicht genesen konnte, sie besah die roten Schuhe, und sie meinte, es sei keine Sünde dabei. – Sie zog die roten Schuhe an, das konnte sie ja auch wohl; aber dann ging sie zum Ball und fing an zu tanzen.
Als sie aber zur Rechten wollte, tanzten die Schuhe zur Linken, und als sie die Diele hinauf wollte, tanzten die Schuhe dieselbe hinunter, die Treppe hinab, durch die Straße aus dem Stadtthor hinaus. Sie tanzte und mußte tanzen, gerade hinaus in den finstern Wald.
Da leuchtete es zwischen den Bäumen und sie glaubte, es sei der Mond, denn es war ein Gesicht, aber es war der alte Soldat mit dem roten Bart, er saß und nickte und sagte: »Sieh, was für schöne Tanzschuhe!«
Da erschrak sie und wollte die roten Schuhe abwerfen, aber die hingen fest, und sie schleuderte ihre Strümpfe ab, aber die Schuhe waren an den Füßen festgewachsen. Sie tanzte und mußte über Feld und Wiese, im Regen und Sonnenschein, bei Nacht und bei Tage tanzen, aber nachts war es am greulichsten.
Sie tanzte auf den offenen Kirchhof hinauf, aber die Toten dort tanzten nicht, die hatten etwas viel Besseres zu thun, als zu tanzen. Sie wollte sich auf des Armen Grab setzen, wo das bittere Farrenkraut wächst, aber für sie war weder Ruhe noch Rast, und als sie gegen die offene Kirchthür hintanzte, sah sie dort einen Engel in weißen Kleidern, mit Schwingen, die ihm von den Schultern bis zur Erde reichten, sein Antlitz war streng und ernst, und in der Hand hielt er ein Schwert, breit und glänzend.
»Tanzen sollst Du!« sagte er, »tanzen auf Deinen roten Schuhen, bis Du bleich und kalt wirst, bis Deine Haut zu einem Gerippe zusammenschrumpft! Tanzen sollst Du von Thür zu Thür, und wo stolze, hochmütige Kinder wohnen, sollst Du anklopfen, sodaß sie Dich hören und fürchten! Tanzen sollst Du, tanzen – –!«
»Gnade!« rief Marie. Aber sie hörte nicht, was der Engel erwiderte, denn die Schuhe trugen sie durch die Thür auf das Feld, über Weg und Steg, und immer mußte sie tanzen.
Eines Morgens tanzte sie an einer Thür vorbei, die sie gut kannte. Drinnen tönte Psalmengesang, ein Sarg wurde herausgetragen, der mit Blumen geschmückt war. Da wußte sie, daß die alte Dame gestorben war, und nun fühlte sie, daß sie von allen verlassen und von Gottes Engel verdammt sei.
Sie tanzte, und sie mußte tanzen, tanzen in der finstern Nacht. Die Schuhe trugen sie über Dorn und Sumpf davon, sie riß sich blutig; sie tanzte über die Haide dahin nach einem kleinen, einsamen Hause. Hier wußte sie, daß der Scharfrichter wohne und sie klopfte mit den Fingern an die Scheiben und sagte:
»Komm heraus! – komm heraus! – ich kann nicht hinein kommen, denn ich muß tanzen!«
Und der Scharfrichter sagte: »Du weißt wohl nicht, wer ich bin? Ich schlage den Menschen die Köpfe ab und ich merke, daß meine Axt klingt!«
»Schlage mir nicht den Kopf ab,« sagte Marie, »denn dann kann ich meine Sünde nicht bereuen, aber schlage meine Füße mit den roten Schuhen ab!«
Sie bekannte ihre Sünde, und der Scharfrichter hieb ihr die Füße mit den roten Schuhen ab, aber die Schuhe tanzten mit den kleinen Füßen über das Feld dahin in den tiefen Wald hinein.
Er schnitzte ihr Holzfüße und Krücken, lehrte sie einen Psalm, den die Sünder immer singen, und sie küßte die Hand, die das Beil geführt hatte und ging über die Haide fort.
»Nun habe ich genug für die roten Schuhe gelitten,« sagte sie, »nun will ich in die Kirche gehen, damit sie mich sehen können!« Und sie ging rasch gegen die Kirchthür; als sie aber dahinkam, tanzten die roten Schuhe vor ihr her und sie erschrak und wendete um.
Die ganze Woche hindurch war sie betrübt und weinte viel bittere Thränen, aber als Sonntag wurde, sagte sie: »Nun habe ich genug gelitten und gestritten; ich glaube wohl, daß ich ebenso gut bin als manche von denen, die da in der Kirche sitzen und sich brüsten!« Und dann ging sie mutig hin; aber sie kam nicht weiter, als bis zur Kirchhofthür, da sah sie die roten Schuhe vor sich hertanzen, und sie erschrak, wendete um und bereute recht von Herzen ihre Sünde.
Sie ging zur Pfarrwohnung und bat, daß man sie dort in Dienst nehmen möge, fleißig wolle sie sein, und alles thun, was sie könnte, auf den Lohn sehe sie nicht, nur daß sie unter Dach komme und bei guten Menschen sei. Die Predigerfrau hatte Mitleid mit ihr und nahm sie in ihren Dienst. Marie war fleißig und nachdenkend. Stille saß sie und horchte auf, wenn der Prediger des Abends aus der Bibel laut vorlas. Alle Kinder hielten viel von ihr, wenn sie aber von Putz und Pracht und von Schönheit sprachen, schüttelte sie mit dem Kopfe.
Am nächsten Sonntage gingen alle zur Kirche, und sie fragten sie, ob sie mitgehen wolle, aber sie blickte betrübt, mit Thränen in den Augen, auf ihre Krücken, und dann gingen die andern hin, Gottes Wort zu hören, sie aber ging allein in ihre kleine Kammer, die nicht größer war, als daß das Bett und ein Stuhl darin stehen konnten. Hier setzte sie sich mit ihrem Gesangbuch hin, und als sie mit frommem Sinn darin las, trug der Wind die Orgeltöne von der Kirche zu ihr herüber, und sie erhob ihr Antlitz mit Thränen und sagte: »O Gott, hilf mir!«
Da schien die Sonne ganz hell, und gerade vor ihr stand Gottes Engel in den weißen Kleidern, den sie in jener Nacht in der Kirchthür erblickt hatte, aber er hielt nicht mehr das scharfe Schwert, sondern einen herrlichen grünen Zweig, der voller Rosen saß. Er berührte damit die Decke, und sie erhob sich hoch, und wo er sie berührt hatte, glänzte ein goldener Stern, und er berührte die Wände, die sich erweiterten, und sie erblickte die Orgel, welche spielte, sie sah die alten Bilder mit Predigern und Predigerfrauen, die Gemeinde saß in den geputzten Stühlen und sang aus ihren Gesangbüchern. – Denn die Kirche war selbst zu dem armen Mädchen in die enge Stube gekommen, oder auch war sie dahingekommen. Sie saß im Stuhl bei den übrigen Leuten des Predigers, und als sie den Psalm geendet hatten und aufblickten, nickten sie und sagten: »Das war recht, daß Du kamst, Marie!«
»Das war Gnade!« sagte sie.
Und die Orgel klang und die Kinderstimmen im Chor tönten sanft und lieblich! Der klare Sonnenschein strömte warm durch das Fenster in den Kirchstuhl, wo Marie saß, hinein, ihr Herz wurde so voller Sonnenschein, Frieden und Freude, daß es brach. – Ihre Seele flog auf Sonnenschein zu Gott, und dort war niemand, der nach den roten Schuhen fragte." - Quelle

Wie soll man dieses Märchen nun deuten, und was hat es mit Bulimie zu tun? Zunächst ist festzustellen, dass die roten Schuhe ein Sinnbild für die Kreativität des Mädchens sind. Die Farbe Rot ist auch ganz klar mit dem Ausdruck von Emotionen verknüpft. 

Zu Beginn der Geschichte ist das Mädchen noch mit seinem Instinkt verbunden, es hat seiner Kreativität noch Ausdruck verliehen und sich selbst rote Schuhe genäht. Auch wenn sie schäbig wirkten, so hatten sie doch eine äußerst kostbare Bedeutung für das Mädchen. Sie hatte sie selbst gemacht und durch ihr Vorstellungsvermögen etwas erschaffen. 

Die alte Dame nimmt ihr die Schuhe weg, sie schneidet dem Mädchen damit die Verbindung zu ihrem Innersten ab, weil sie selbst keine Verbindung mehr dazu hat. Alte Damen sind im Leben all diejenigen, die Kindern ihre Ideen ausreden, die sie nicht ernstnehmen und zum Bravsein ermahnen. Vor allem Mädchen sollen ja immer schön still und höflich sein.

Die Einsegnung könnte auch eine Konfirmation sein, also eine Art christlicher Initiationsritus, der aber leider gar nichts mit emotionaler Involviertheit des Mädchens zu tun hat - im Gegenteil. Es wird dazu angehalten, sich zu benehmen und seine Bedürfnisse nicht wahrzunehmen, also keine roten, sondern schwarze Schuhe zu tragen. Es ist kein Ereignis der Freude, sondern ein Trauerspiel.

Das Mädchen kauft beim Schuster aber keine schwarzen, sondern rote Schuhe. Es fällt auf die roten Schuhe herein, denn die neuen roten Schuhe stehen für alle schnelllebigen Ersatzbefriedigungen, denen wir nachgeben, anstatt auf unsere eigene Stimme zu hören. Dazu gehört auch die Bulimie. Es ist einfacher, einen Fressanfall haben, als auf die eigene Stimme zu hören und ein Leben zu führen, dass dem eigenen Wesen entspricht.

Aber diese neuen roten Schuhe führen ins Verderben. Sie lassen das Mädchen nicht mehr in Ruhe, sie ist fremdbestimmt, bis sie sich die Füße abschlagen lässt. Erst als Krüppel hört sie auf ihre eigene Stimme und erkennt, worauf es ihr ankommt.

Das ist also die Moral der Geschichte: auf die eigene Stimme hören. Es kann dauern, bis sie wieder wahrgenommen wird, aber sie ist nicht unterzukriegen. Das erkennt man schon allein daran, dass alle Ersatzbefriedigungen andauern. Und dass eine Bulimie ohne das Hören auf die eigene Stimme keine Chance hat, geheilt zu werden.

Mittwoch, 13. Februar 2013

Die Rolle der Frau?!

Habt ihr euch jemals Gedanken über die generelle Rolle der Frau in der westlichen Gesellschaft gemacht? In letzter Zeit denke ich wieder häufiger über dieses Thema nach, was nicht zuletzt an der Sexismusdebatte liegt, die gerade Schlagzeilen macht.

Ich will zunächst völlig oberflächlich bleiben und mal von mir als Mädchen / Frau während meiner Bulimiezeit ausgehen. Auf der Straße wurde mir, wie jeder wahrscheinlich, auch mal hinterhergepfiffen oder irgendwas hinterhergerufen. In meiner generellen Unsicherheit habe ich das damals natüüürlich nicht als Beleidigung oder sexistische Handlung betrachtet, nein, ich fühlte mich geschmeichelt. Aber ich habe auch andere, weniger "erfreuliche" Dinge erlebt. Einmal während einer Ferienbeschäftigung hat mir ein Angestellter des Betriebs (ausschließlich männliche Kollegen) an den Busen gegrapscht, während der Arbeit, so dass es andere hätten sehen können. Wahrscheinlich nur um meine Reaktion zu testen. Und wie habe ich reagiert? Naja, ich war viel zu perplex und geschockt, um in irgendeiner Weise überhaupt darauf zu reagieren. Ich ärgere mich noch heute darüber, dass ich ihm keine schallende Ohrfeige verpasst und Anzeige gegen ihn erstattet habe.
Ein anderes Mal war ich mit dem Fahrrad unterwegs und hatte einen Platten. Der Radweg verlief neben einer relativ stark befahrenen Bundesstraße. Ich schob mein Fahrrad, als mir vom angrenzenden Waldstück her ein Mann zuwinkte. Er rief mir dann zu, ob er mir helfen könne. Ich dachte nur, naja, ist ja nett, aber rief "nein, danke, ich schiebe bis zum nächsten Ort, ist ja nicht weit" zurück. Und dachte, das habe sich damit erledigt. Aber nein, er kam dann näher und versuchte auf penetrante und aufdringliche Weise, mich in sein Gartenhäuschen zu locken. Ich bin dann schneller gegangen und schließlich gerannt, währenddessen immer die Straße im Blick.
10 Minuten später erstand ich mein erstes Pfefferspray. Ich trug es in diesem Sommer immer bei mir.

Das sind nur zwei Erfahrungen, die mir spontan einfallen. Ihr habt bestimmt Ähnliches erlebt.
Ich bin es so leid, solchen Situationen einfach ausgesetzt zu sein, und es widert mich an, dass Männer auf derlei Ideen kommen. Aber wisst ihr, was mir noch viel größere Kopfschmerzen bereitet? Dass wir Frauen uns nicht dagegen zur Wehr setzen. Ich war lange diejenige, die der Meinung war: "naja, das sind halt Männer. Hormongesteuert. Ist evolutionsbiologisch bedingt, die müssen ihren Samen möglichst weit verbreiten..." Aber dass Frauen kein Kontra geben, macht mich einfach nur sprachlos. Ich bin jetzt in einer Position, aus der heraus ich das sagen kann, damals konnte ich es auch nicht, denn sonst wären die Situationen anders abgelaufen. Aber dass sich Frauen selbst als Opfer darstellen, geht nicht in meinen Kopf. Klar, sie sind körperlich unterlegen, und es gibt genug Situationen, in denen sie wirklich NICHTS machen können (klassisches Beispiel: Frau nachts allein im Park), aber wie oft passieren solche Dinge tagsüber, in der Öffentlichkeit, auf der Arbeitsstelle?

Auf der Seite ihollaback.org könnt ihr eure eigenen Erfahrungen teilen und die Geschichten von anderen Mädchen und Frauen lesen. Aber auch dort habe ich im deutschsprachigen Raum keine einzige Geschichte einer Frau gelesen, die sich gegen verbale oder körperliche Angriffe zur Wehr gesetzt hat (bitte korrigiert mich an der Stelle, falls ihr euch dort umseht).

Wir haben heute ein, christlich veranlasstes (?) Patriarchat. Vor ein paar tausend Jahren gab es noch das Matriarchat, Gesellschaften, in denen Frauen verantwortungsvollen Positionen hatten, und Männer ordneten sich ihnen im Glaube an die weiblichen Kräfte sogar unter. Frauen waren Priesterinnen, Königinnen, sie waren nicht nur die Nährenden, sie halten die ganze Gesellschaft am Laufen! Die älteste Zivilisation überhaupt, die frühesten Siedlungen in Mesopotamien, wurden von Frauen angeleitet.

Ist die Zeit nicht langsam reif für eine neue Rolle der Frau in unserer Gesellschaft, anstatt dass Frauen versuchen zu sein wie Männer? Frauen müssen nicht die besseren Ingenieure und Techniker werden  -wenn sie Lust drauf haben, dürfen sie natürlich diese Berufe wählen- aber wieviel besser täte es der Gesellschaft, wenn Frauen zu einer echten Frauen-Rolle finden könnten und die weibliche Intution wieder Gehör in der Gesellschaft fände? Wenn Frauen nicht die "Männersprache" lernen müssten? Frauen können zuerst ihren eigenen Wert wieder entdecken. Im nächsten Schritt können Männer lernen, diesen Wert anzuerkennen und zu schätzen.

Bitte, lasst Bulimie und Magersucht hinter euch, denn das macht euch unsichtbar.

Samstag, 9. Februar 2013

Haptik- der unterschätzte Sinn

Letztens trieb mich die Frage um, inwiefern Haptik, also der Tastsinn, in der Bulimietherapie eine Rolle spielen könnte. Im stationären Bereich wird ja schon oft mit Bewegung und auch Massage gearbeitet. Aber gibt es keine alltäglichere, unmittelbarere und direktere Form der Berührung?
Zuerst fiel mir dabei ein Bällebad ein. Bei einer eingehenderen Recherche zu dem Thema stellte sich heraus, dass dieses auch in der Ergotherapie und mittlerweile in nahezu jedem Kindergarten Anwendung findet. Auch in der Therapie gegen Autismus und gegen AD(H)S wird es eingesetzt, weil es in hohem Maß sowohl die Koordination, aber auch die Körperwahrnehmung schult.

Laut Prof. Grunewald vom Haptiklabor Leipzig (der neben Haptik interessanterweise auch noch den Forschungsschwerpunkt Essstörungen hat) ist Haptik der wichtigste Sinn des Menschen: «Ohne den Tastsinn können wir nicht existieren. Er wird als erster von allen Sinnen ausgebildet, schläft nie und stellt das Bezugssystem für alle anderen Sinne zur Verfügung».

Unsere Gesellschaft jedoch ist hauptsächlich auditiv und visuell orientiert, was sich leicht an der Werbung erkennen lässt... Dass Haptik nicht nur wichtig, sondern vor allem in den ersten Jahren überlebenswichtig ist, zeigt sich in den "Studien" Kaiser Friedrichs II. Unter dem Vorhaben, eine Art Ursprache des Menschen zu finden, experimentierte er mit Säuglingen, denen außer der Basispflege keinerlei Zuwendung zuteil wurde. Sie starben innerhalb kurzer Zeit, unter anderem deshalb, weil Berührung in den ersten Lebensmonaten, wie wir heute wissen, so immens wichtig ist.

Grunewald konnte auch einen Zusammenhang zwischen Essstörungen, insbesondere der Magersucht, und einem gestörten Tastsinn feststellen. Der Forscher brachte dies in Verbindung mit der sog. Körperschemastörung, die einer verschobenen Wahrnehmung des eigenen Körpers entspringt.  Er entwickelte daraufhin einen neuen Therapieansatz für Magersüchtige: sie sollten dreimal täglich einen Neoprenanzug tragen, um die eigene Körperwahrnehmung zu schulen. Und siehe da, die bisher getesteten Patienten zeigten große Fortschritte, sie waren mit ihrem Körper zufriedener, weil sie ihn auf einmal durch Fühlen wahrnehmen konnten. Hier findet ihr auch ein Video dazu.

Screenhot zum 3Sat-Beitrag in der Sendung "Nano"




Dass auch Bulimiker eine gestörte Beziehung zum eigenen Körper haben, ist wahrscheinlich unbestritten. Ich erinnere mich nur an meine eigene Vorstellung meines Körpers als Maschine: ich "drücke den Knopf" und das Essen kommt wieder raus. Ich rechne, wieviele Kalorien habe ich während des FAs vertilgt und wieviel habe ich wieder hinausbefördert. Ich stopfe A in die Maschine und das Gewicht ist B, zumindest habe ich mir das oft in der Art gewünscht. Dass das Gewicht eben oft nicht B war, liegt daran, dass der Körper nun eben keine Maschine ist. Hierzu passt auch wieder die Pillengeschichte...


Der Körper ist ein wundersames Wesen, ein biologisches Meisterwerk, aber er steht nicht für sich allein: Geist, Seele und Körper bilden eine Einheit. Darum ist es wichtig, bei der Heilung von Bulimie auf alle drei einzugehen. Zu verstehen, woher die Bulimie kommt und warum man sie sich als Krückstock ausgesucht hat. Sich offen zu machen für Dinge, die wir nicht verstehen, und das ganz ohne spirituellen Überbau- denn es ist schade, diese Dimension nicht für sich zu entdecken, weil zu viele Dogmatiker und Freaks unterwegs sind; und natürlich die Welt und den eigenen Körper und mit dem eigenen Körper nicht nur zu sehen, riechen, hören, schmecken, sondern auch zu FÜHLEN.

Der Erfolg von Prof. Grunwald in Bezug auf die Magersuchtstherapie macht auf jeden Fall Hoffnung, dass vielleicht auch bald der Zusammenhang zwischen Bulimie und Haptik näher untersucht wird... Ich bin schon sehr gespannt!

Zum Weiterlesen:
http://dasgehirn.info/wahrnehmen/fuehlen-koerper/der-homo-hapticus
http://www.multisense.net/praxis/interviews/der-ganze-koerper-ist-ein-tastsinnessystem-teil-1/
http://www.medizinpopulaer.at/archiv/gesellschaft-familie/details/article/kuscheltier-mensch.html

Samstag, 12. Januar 2013

Was macht die Pille mit mir?

Heute will ich meine Gedanken zur Pille mit euch teilen. Ich habe die Pille nie selbst genommen, die 2 Monate während meiner turbulenten Jugend kann ich nicht ernsthaft dazuzählen.
Da die Pille dem Körper eine Schwangerschaft vortäuscht, und jeder solche hormonell bedingten Persönlichkeitsveränderungen wenigstens gehört, wenn nicht sogar schon selbst miterlebt hat, frage ich mich, was die Frauen dazu bewegt, die Pille doch zu nehmen und diese Veränderungen willentlich in Kauf zu nehmen. In Deutschland sind das ganze 54% der Frauen im Alter von 20-44.

Ob die Pille nun das Krebsrisiko oder das Risiko für andere Krankheiten erhöht, sei dahingestellt.
Wer sollte ein Interesse daran haben, möglichst viele Frauen davon zu überzeugen, die Pille zu nehmen? Darauf muss ich wohl nicht eingehen. Die Macht der Pharmaindustrie ist jedenfalls weitaus größer als die der Pillenkritiker- Studienergebnisse in der Richtung sind also mit Vorsicht zu genießen.

Aber zurück zur "Veränderung der Persönlichkeit", was vielleicht ein bisschen hoch gegriffen ist, man könnte auch nur sagen, dass viele sich einfach anders verhalten, anders denken, als zur Zeit vor der Pilleneinnahme.
Zum Einen wählen Frauen unter dem Einfluss der Pille einen genetisch eher ähnlichen Partner aus. Wir wissen aber aus der Forschung, dass die Nachkommen von Menschen, die einander wenig ähneln, bessere Überlebenschancen haben. Im Umkehrschluss bedeutet das also, dass die Nachkommen von Pillenkonsumentinnen schlechtere Ausgangsbedingungen haben.
Frauen unter der Pille haben beispielsweise auch ein anderes Geruchsempfinden und wählen daher nicht den für sie, genetisch betrachtet, geeigneten Partner aus (Link zur Quelle) bzw. finden sie "den Geruch von Männern attraktiv, die in Sachen evolutionärer Fitness eher wenig Erfolg versprechen." Zu welcher Gesellschaft entwickeln wir uns, wenn Paare hormonell fremdgesteuert ein Kind bekommen, das sonst, unter "normalen" Umständen, gar nicht erst entstanden wäre, wenn Leben mithilfe künstlicher Befruchtung anhand eugenischer Gesichtspunkte selektiert wird?
Aber gibt es überhaupt Alternativen zur Pille? Das Argument, dass die Pille außer Konkurrenz steht, will ich nicht gelten lassen. Bei richtiger Anwendung haben natürliche Verfahren wie die NFP (Natürliche Familienplanung) eine ähnlich hohe Sicherheit und bringen zusätzlich den unermesslich positiven Vorteil für die Frau, ihren Körper kennenzulernen. Ihn zu respektieren, anstatt ihn mit der Pille zu manipulieren. 

Mittwoch, 5. Dezember 2012

"Das musste geschehen, weil immer etwas überbleibt": wie man mit seiner Geschichte positiv umgehen kann

Ich habe die Bulimie früher immer als etwas rein Negatives gesehen: es hat mich viele Lebensjahre gekostet, ich habe meinem Körper Schäden zugefügt, ich habe Freunde verloren, ich habe soziale Kompetenzen verloren.

Heute habe ich eine Sendung im Fernsehen gesehen über alte Menschen. Eigentlich ging es darum, wie man Weisheit erlangt. Es wurde untersucht, wie diese Leute das Leben gemeistert haben. Einige von ihnen hatten schlimme Schicksalsschläge hinter sich. Diese Menschen haben es geschafft, in allem Negativen auch etwas Gutes zu sehen.

Eine Frau, die nach dem Tod ihres Mannes eine international erfolreiche Fotografin wurde, hat das so formuliert:

"Zur Entwicklung von Weisheit gehören schwierige Lebensereignisse. Lebensereignisse, die die Prioritäten und Überzeugungen, die man hatte, grundlegend über den Haufen werfen. Solche Erlebnisse haben wir alle manchmal im Leben. Es gibt junge Menschen, die schon vieles erlebt haben, was sie auf den Weg der Weisheit gebracht hat.
Aber sozusagen statistisch gesehen ist es wahrscheinlich, dass sich solche Lebensereignisse im Laufe eines längeren Lebens stärker kummulieren".

Samstag, 1. Dezember 2012

Der öffentliche Körper

"Der menschliche Organismus und private Körper in seiner biologischen Qualität befindet sich auf dem Rückzug, hervor tritt der öffentliche Körper als soziale Gestalt. Homfeldt spricht vom "sozialen Brennpunkt Körper" (vgl. 1999). Dieser wird zum Objekt der Bearbeitung, innerlich wie äußerlich durch Ernährung, Training, Bemalung, Gestaltung der Körperbehaarung und Operationen, um im Spiegel der Freunde, Peers und Konkurrenten, im Wettbewerb um Anerkennung, Aufmerksamkeit und Eroberung zu wirken. Für die Natur. und Kulturprozesse der neuen gemeinschafltichen Körperbilder scheinen zwei Bereiche eine Schlüsselrolle zu spielen: die Welt der Ernährung und die Welt der Sexualität (vgl. Neumann 1993, S. 396)."

aus: Heindl, Ines: Studienbuch Ernährungsbildung: Ein europäisches Konzept zur schulischen Gesundheitsförderung. Berlin 2003, S.105

Samstag, 24. November 2012

Gehen die Hamsterbacken wieder weg?

 Ja, sie verschwinden nach einigen Wochen normalen Essens. Ich hatte früher extreme Hamsterbacken. Ein Grund, sich ohne Bulimie super hübsch zu finden :)

Mittwoch, 21. November 2012

Reihe Essen & Philosophie (Teil 1): Platon´s leichte Mahlzeit

Sehr amüsant, welche Parallelen man in der Problematik der Bulimie und den Gedanken über Essen bei den alten Philosophen findet.
Platon beispielsweise (Aristoteles und Sokrates haben sich auch viel zum Thema Essen ausgedacht, dazu zu einem späteren Zeitpunkt mehr) hatte es offenbar eingesehen, dass eine schwere Mahlzeit am Abend keine gute Nacht hervorbringen kann und man sich am Morgen niedergedrückt fühlt. Wie nach einem FA ohne Erbrechen. Ich hatte da immer Alpträume. Wenn ich geschlafen hab und nicht vorm Fernseher vor mich hin gedöst hab, was eigentlich noch schlimmer war.
Folgendes schreibt sein Gast Timotheus, der bei ihm gegessen und genächtigt hat:
"Wer beim Plato speist, befindet sich auch am folgenden Tage wohl" Und in der Tat, ein herrliches Mittel, den Tag angenehm hinzubringen, ist die Leichtigkeit und gleiche Mischung des Körpers, der, wenn er nicht durch übermäßigen Genuss zu Boden gedrückt wird, ohne Widerwillen zu jedem Geschäfte bereitwillig ist." [aus: Harald Lehmke (2007): Ethik des Essens: Eine Einführung in die Gastrosophie, Berlin, S. 45]


Samstag, 17. November 2012

Kleine Geschichte des Fast Foods

Warum isst man in westlichen Gesellschaften Fast Food, welche Hintergründe liegen dem zugrunde? Ich hab mich mal ein bisschen ins Thema vertieft und interessante Entdeckungen gemacht. Ich muss derzeit meine wissenschaftliche Arbeitsweise trainieren, darum könnt ihr davon ausgehen, dass meine Angaben auf verlässlichen Quellen basieren :)

"Fast Food kann nur gedeihen, wo Mobilität und Fluktuation positiv besetzt sind", so Christoph Wagner in seinem Buch "Fast schon Food" (Köln, 2010).
Schnelles Essen gab es schon in antiker Zeit, wie z.B. während des Kriegs (sog. "Erbswurst"). Es gab damals die Fliegenden Händler, die Bratfische, gefüllte Feigenblätter und Brot auf der Straße verkauften. Diese antiken Snacks wurden auch einfach von der Hand zum Mund gegessen, ohne Besteck und ohne Teller. In Rom gab es Pastetenbäcker, die Teigwaren verkauften.
Auch in den römischen Badehäusern gab es Garküchen, die "popinae", wo die Besucher Wein, Würstchen und Kuchen verzehren konnten. Auch in Tokio gab es bereits im 17. Jahrhundert Sushi, das man auf der Straße kaufen konnte. Auch in Mesopotamien und im mittelalterlichen Orient gab es öffentliche Garküchen.

Schon in früherer Zeit hatten die Menschen also das Bedürfnis, unterwegs etwas essen zu können. Oft resultierte es aus dem Tagesablauf und den Tätigkeiten der Menschen.

Im 18. Jahrhundert kam dann das Picknick als neue Form öffentlichen Essens auf. Man packte zuhause den Picknickkorb mit Dingen, die heute als Fast Food bekannt ist Würstchen, Frikadellen, Pizza.

Die Industrialisierung brachte es später mit sich, dass Arbeiten und Wohnen in zwei Bereiche getrennt wurden. Also musste man außer Haus essen. Es entstand das Bedürfnis, schnell und günstig essen zu können. Auf diese Weise entstand z.B. 1902 das erste "Automatenbuffet", aus dem man kaltes und warmes Essen purzelte.

Schon 1882 gab es das erste Self-Service Restaurant, das Pommes Frites, Hamburger und Currywurst anbot!

Fast Food ist eine Folge unsere westlichen Zivilisation. Überall essen zu können und zu wollen, hat sich aus unseren Lebensumständen ergeben und vor allem aus der Trennung von Arbeiten und Wohnen.

Quelle: Schirrmeister, Claudia (2010): Bratwurst oder Lachsmousse. Die Symbolik des Essens- Betrachtungen zur Esskultur. Bielefeld, 2010.

Mittwoch, 14. November 2012

Wie genau ändert sich mein Körpergefühl bei Sport?

Ich habe es ja schon mehrfach geschrieben, dass ich regelmäßig Sport mache. Früher während meiner Bulimie aber leider gar nicht. Dabei hätte mir das damals bestimmt gut getan.
Meine präferierte Tageszeit ist der Morgen. So mache ich mich nicht von meinem Tagesablauf abhängig. Wenn ich spontan z.B. abends etwas unternehmen will und dann keinen Sport machen kann, würde das nicht funktionieren. Daher wäre mein Tipp: sucht euch eine angenehme Tageszeit aus, die für euch am besten in den Tagesablauf passt. So ist die Gefahr, dass man den Sport verschiebt, am geringsten.
Aber zurück zum Körpergefühl. Nach dem Sport bin ich angenehm ausgepowert. Ich bin schön wach und nach der Dusche fühle ich mich richtig frisch. Ich spüre meinen Körper, auf eine angenehme Weise. Ich weiß, dass er funktioniert. Und das Gute am Morgensport ist auch: man hat gleich am Anfang des Tages ein Erfolgserlebnis.
Meine Körperproportionen haben sich auch positiv verändert. Ich bin "definierter". Das ist ein super Gefühl, und selbst wenn ich jetzt ein bisschen zunehme, merke ich es nicht direkt, sondern habe den Eindruck, dass es auch besser verteilt wird.
Das Körpergefühl ist den ganzen Tag über gut, hat mehr Kondition und ist auch konzentrierter. Die Kondition vereinfacht ganz normale Alltagssituationen: wenn ich zum Bus renne beispielsweise oder eine lange Treppe hochsteige. Mann, da hab ich früher teilweise echt geschwitzt.
Nix wie ran, wäre mein Rat.

Samstag, 10. November 2012

Sich Strukturen schaffen

Ich hatte früher oft ein Riesenproblem damit, mir meinen Tag vernünftig und für mich angenehm einzuteilen. Oft bin ich irgendwann nach Mitternacht ins Bett und dann am nächsten Tag um 10 aufgestanden, bis ich dann fit für den Tag war, war es schon Mittag. Wenn ich dann noch FAs hatte, und das war meistens während der Ferien oder am Wochenende der Fall, dann hab ich mir gedacht "ok, morgen und übermorgen hab ich ja nichts zu tun, also kann ich ruhig für nen FA einkaufen". Hm. Machen wir uns nochmal ein paar Gedanken zum Sinn solcher freien Tage....sie sind zum Entspannen da, damit man bei Arbeitsbeginn oder was man sonst so treibt, wieder fit ist. Und nach einem tagelangen FA oder mehreren hintereinander braucht man eigentlich erstmal noch einen Urlaub.
Ich hab einen ganz pragmatischen Tipp. Überlegt euch mal, was ihr gern unternehmen wollt. Etwas, was euch wirklich Spaß machen würde. Scheut nicht davor zurück, mal wieder jemanden anzurufen und zu fragen, ob er / sie was mit euch machen würde. Die meisten Leute freuen sich auch über Begleitung. Neulich hatte ich erst wieder die Situation, dass ich auch alleine war an einem Sonntag, und dann mit einer Freundin darüber gesprochen hab. Sie hat dann gefragt, warum ich nicht angerufen hätte, sie wär auch allein gewesen und hätte gern was gemacht.

Ja, der Grund, warum ich das schreibe, ist folgender: ich habe mich jahrelang zurückgezogen und war mehr oder weniger (bis auf Uni / Schule / Arbeit) den ganzen Tag zuhause. Ich habe nichts unternommen. Meine einzige Verbindung zur Außenwelt war zuerst das Fernsehen, danach das Internet. Und ich denke mir heute: hätte ich doch früher mehr unternommen, wär mal raus gegangen, hätte mich mit LEUTEN getroffen! Aber das hab ich nicht gemacht, weil ich mich zu sehr geschämt habe für mich selbst.

Mit Strukturen schaffen meine ich hauptsächlich zeitliche Strukturen, an denen ich mich orientieren kann. Und die eine Art Verhinderung eines FAs sein können. Weil ich am nächsten Tag nicht ein aufgedunsenes Gesicht haben will, sondern ausgeruht sein will. Weil ich mich konzentrieren will. Und weil ich meine Zeit nicht verschwenden will, sondern angenehm nutzen will.

Eine permanentere Struktur könnte auch ein Nebenjob sein. Mir hat das auch sehr gut geholfen. Wenn ich weiß, dass ich arbeiten muss, dann kann ich den Feierabend richtig genießen, weil ich etwas zu Ende gebracht habe (im Gegensatz zum Studium, dort gibt es kein richtiges "Ende"). Das heißt, man hat nicht nur während der Arbeitszeit keine Zeit für einen FA, sondern minimiert gleichzeitig das Risiko für danach.

Eine Struktur, die ich momentan in meinem Leben sehr gerne mag, ist das morgendliche Laufen. Ich gehe nicht jeden Tag, aber regelmäßig. Dabei nutze ich das Laufen auch als eine Art Zeitmanagement-Tool. Das bedeutet, dass ich früh aufstehen muss, und dafür muss ich wiederum früh schlafen gehen. Das bringt gedankliche Sicherheit mit sich, auf die ich nicht mehr verzichten möchte.

Samstag, 3. November 2012

6 Wege Fressanfälle zu verhindern

1. Die Wohnung verlassen. Oft hat ein Essanfall mit Isolation zu tun. Auch wenn man mit dieser Notlösung nicht das eigentliche Problem, das dem Essdrang zugrunde liegt, angeht, so kann es doch eine Chance sein, um den Essanfall zu verhindern.

2. Sich vorstellen, wie man sich nach dem FA fühlt. Meistens nicht sehr gut. Je länger man die Bulimie schon mit sich herumschleppt, desto stärkere Auswirkungen hat jeder einzelne FA: Müdigkeit, Unkonzentriertheit, das sind alles bekannte Konsequenzen. Die Frage ist: kann ich mir das leisten? Oft musste ich früher eigentlich noch etwas erledigen, nach dem FA war daran nicht mehr zu denken, ich war zu müde und bin gleich ins Bett. Am nächsten Tag dann aufwachen mit dickem Gesicht, Halsschmerzen und Kopfweh.

3. Sich klarmachen, dass jeder verhinderte FA mich im Umgang mit meinen Gefühlen weiterbringt. Jeder verhinderte FA ist eine Lektion in "Gefühle zulassen". Ich stelle mich meinen Gedanken, lerne, sie zuzulassen und kann Strategien entwickeln, um sie zu verarbeiten. Anstatt sie mit einem FA zu unterdrücken und dann auf das fette Ende zu warten, wenn sie unkontrolliert ausbrechen.

4. Die "Was brauche ich wirklich"-Liste. Hier findet ihr sie.

5. Sich verabreden. FAs treten oft dann auf, wenn ich nichts mehr vor habe und genug Zeit für einen FA habe. Es kann wirklich helfen, wenn ich in brisanten Situationen auf solche Notlösungen zurückgreife.

6. Über Gedanken sprechen oder schreiben. Dieses diffuse "Ich fühl mich schlecht, aber geh dem Ganzen nicht auf den Grund" kann zermürbend sein. Ein Telefonat mit einer vertrauten Person kann helfen, die Gefühle in Worte zu fassen und oft stellt sich heraus, dass alles weniger schlimm ist als gedacht. Aufschreiben kann denselben positiven Effekt haben. Wenn ich konkret überlege, worin das Problem liegt, zeigt sich mir auch oft schon die Lösung.

Mittwoch, 31. Oktober 2012

Mach was!

Sich zu ändern ist.... ja, nicht die einfachste Aufgabe. Wenn alle Stricke reißen, bleibt man dort, wo man schon immer war. Ein von Bulimie Betroffener hilft sich weiterhin mit FAs über seine emotionalen Krisen hinweg. Mehr muss ich dazu ja nicht sagen, jeder will sich davon befreien.
Aber wie macht man es? Den Königsweg kennt niemand, auch ich nicht.
Aber eins weiß ich genau: es ist die Einstellung, die zum Erfolg führt. Und nicht, wie lange es jemand ohne FAs aushält. Wenn jedoch jemand seine Einstellung geändert hat, dann können die FAs eine gute Messlatte für den Erfolg sein.
Dabei sind es die kleinen Schritte, die die Einstellung dauerhaft verändern können. Man erkennt zuerst das eine, dann das andere Puzzleteil und irgendwann ist man soweit, dass man es ohne FAs schafft. Aber bis dahin ist es ein langer und steiniger Weg. Ausgelutscht, aber wahr!
Dabei hilft es, sich einfach ganz stupide hinzusetzen, und sich Ziele zu stecken. Ziele, die man wirklich erreichen kann. Ich kann nicht von mir verlangen, ab sofort jeden Tag eine Stunde zu laufen und dann in 3 Monaten beim Marathon mitzurennen.
Aber ab sofort sportlicher sein zu wollen und es mal mit dem Laufen zu probieren, auch zu sagen, ich will jetzt regelmäßig laufen, wenn es mir gefällt, das wäre ein realistisches Ziel.
Oft braucht man, wenn man aus der Bulimie rauswill, Erfolgserlebnisse. Ohne die wird es echt anstrengend und man läuft Gefahr, immer tiefer in den Teufelskreis zu geraten.
Darum ist es wichtig, sich kleine Ziele zu stecken, an denen man sich hochhangeln kann. Und sich nicht von einem Negativstrudel mit nach unten ziehen zu lassen!

Samstag, 27. Oktober 2012

Motive für die Lebensmittelwahl

  • Geschmacksanspruch (Erdbeeren mit Schlagsahne sind höchster Genuss)
  • Hungergefühl (Ich habe einfach Hunger / Ich muss das jetzt essen)
  • Ökonomische Bedingungen (10 Tafeln Schokolade für 4,98,-)
  • Kulturelle Einflüsse (Morgens Brötchen mit Kaffee)
  • Traditionelle Einflüsse (Omas Plätzchen zu Weihnachten)
  • Habituelle Bedingungen (Ich esse immer eine Suppe vor der Mahlzeit)
  • Emotionale Wirkung (Ein Stück Schokolade bei Enttäuschung)
  • Soziale Gründe (beim Grillen kommt man gut ins Gespräch)
  • Sozialer Status (Nach der erfolgreichen Rede einen Schampus)
  • Angebotslage (Man isst die Currywurst, weil es die gerade am Imbiss gibt)
  • Fitnessüberlegungen (Damit steigere ich meine Leistung beim Schwimmen)
  • Schönheitsansprüche (Ich esse keinen Käse, weil ich schlank bleiben will)
  • Verträglichkeit (Ich trinke keine Milch, weil ich davon Blähungen bekomme)
  • Neugier (Das esse ich zum ersten Mal)
  • Angst vor Schaden (Ich esse kein Gemüse wegen EHEC)
  • Pädagogische Gründe (nach dem Musikunterricht kaufe ich dir eine Schokolade)
  • Krankheitserfordernisse (Ich muss meine Broteinheiten kontrollieren, bin zuckerkrank)
  • Magische Zuweisungen (Artischocken serviere ich bei meinem ersten Date)
  • Pseudowissenschaft (Low Carb zum Abnehmen)
  • manchmal auch: Gesundheitsüberlegungen (Das ist angeblich gesund)
Modifiziert nach Pudel, 1995.

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Skin Deep: Eating Disorder Recovery Tattoos

Interessante Tattoos, die ich bei arenomore gefunden habe. Die Lesers des Blogs haben sich als Zeichen der Gesundung stechen lassen. Seinen Körper kann man nicht so einfach loswerden. Tattoos erinnern bis in alle Ewigkeit, naja gut, es gibt jetzt ja auch Laser....






Ach übrigens: in 2 Monaten ist Weihnachten! :)

Samstag, 20. Oktober 2012

Ich bin mit mir im Reinen....

....und ich kann mich wieder auf mich selbst verlassen. Ich habe mich kennengelernt und bin zufrieden mit mir. Das ist eine der wichtigsten Lektionen, die ich auf dem Weg gelernt habe. Und wisst ihr was? Wenn ihr das wiedergefunden habt, dann werden es andere automatisch bemerken. Hätte ich nie geglaubt! Sobald man aufhört damit, sich zu verstecken, sich selbst nicht ernst zu nehmen und anfängt, sich eben doch ernst zu nehmen (und dazu gehört auch die Sprache: "kann ich vielleicht mal...."; "ich will ja nichts sagen, aber..."; "ist bestimmt ne blöde frage, aber..."; gehört unbedingt auch dazu!), wird man plötzlich wahrgenommen. Man ist wieder sichtbar, ansprechbar, existent! Alle Menschen machen Fehler, also los! Grins.

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Fundstück: "vomito ergo sum"

""Vomito ergo sum - Ich kotze also bin ich."
Der Babyspeck, das wächst sich schon aus, haben die Erwachsenen gesagt, und "fette Sau" nannten mich die Gleichaltrigen. An jedem Zeitungskiosk hochglänzende Heilsversprechungen: 7 Kilo weniger in drei Tagen, für immer schlank, endlich Wunschgewicht, so werden Sie sexy wie nie. Ich hab daran geglaubt. Erst als Diätnovizin, dann als vollwertiges Mitglied im Orden der Fressschwestern, der nur im Geheimen operiert, an stillen Örtchen. 10 Jahre lang hab ich dem Stierhunger, der alles verschlingenden Göttin Bulimie gehuldigt. Bin vorm Kloaltar gekniet und hab Opfer dargebracht, mein Leben nur nach ihr ausgerichtet. So much for the ten year plan.

(der folgende text entstand ursprünglich als beitrag für das online-jugendmagazin fm5)



Ich war fünfzehn als mein Leben begann.


Auf dem Heimweg von der Schule war es plötzlich da, unaufgefordert und überraschend und seither hat es mich nie wieder losgelassen. Nie zuvor war es in solcher Intensität aufgetreten, das Herzrasen. Mir war schwindlig, ein kleinwenig schlecht und plötzlich wußte ich es in aller Gewissheit : „Ich bin verliebt.“


Das Abendessen war bereits vorbereitet, als ich daheim eintraf und obwohl es ein langer Tag gewesen war, sagte ich meiner Mutter, dass ich erstens keinen Hunger hätte und zweitens mit sofortiger Wirkung eine Diät beginnen würde. Danach hab ich mich in mein Zimmer eingeschlossen und es die nächsten Jahre praktisch nicht mehr verlassen.


Da saß ich also. Pickelig, mit strähnigem Haar, das üppige Doppelkinn notdürftig mit einem Halstuch in Form gehalten und träumte plötzlich nicht mehr nur von Pferden, sondern auch von jungen Männern. Genaugenommen nur von einem. Diese erste Liebe war so unsterblich, dass ich nicht mal mehr weiß wie er hieß. Mir war klar, dass er mich nie wahrnehmen würde, wenn ich nicht schleunigst mein Äußeres änderte, denn abgesehen von der altersüblichen Talgüberproduktion hatte ich auch noch schätzungsweise 25 Kilo zuviel. 80 Kilo aufgeteilt auf 164 cm Mensch. Die Extremitäten zwar durchaus wohlgeformt, der Rumpf jedoch recht fleischig und der Busen angesichts meines Alters angsteinflößend. „Fette Sau“ hatte man mir mehr als einmal nachgerufen. „Da kommt Pamela Anderson mal vier“ war zumindest intellektuell etwas ausgefeilter, aber genauso kränkend. Trotzdem hatte ich mich selbst gemocht und mir das auch mindestens drei mal täglich versichert. Nun aber zeigte sich mir im Spiegel eine Person, die ich abscheulich fand. So wie ich aussah, würde mich niemals jemand gernhaben können.


Und so hörte ich auf zu essen. Verliebte Euphorie gab mir die nötige Kraft, sowohl dem mütterlichen Pausenbrot, als auch dem Schulbuffet zu entsagen, mittags nur etwas Buttermilch zu schlürfen und abends ohne das geringste Bedauern auf die Nahrungsaufnahme zu verzichten. Ich besorgte ein Maßband und einen Notizblock. Mit Hilfe des Bandes und des letztjährigen Quellekatalogs versuchte ich, meine aktuelle Konfektionsgröße festzustellen, danach notierte ich sowohl Datum, als auch zu mir genommene Kalorienmenge, legte mein Wunschgewicht mit 55 Kilo fest und fühlte mich großartig.


Natürlich war ich mir im Klaren darüber, dass ich auch Sport treiben musste, um dauerhaft abzunehmen. Im Keller stand ein altes Trampolin, dass ich in mein Zimmer schleppte und fortan als Trainingsgerät nutzte. Dank Nirvana`s „Unplugged in New York“ gelang es mir bald 2 Stunden täglich darauf herumzuspringen.


Nach vier Tagen Buttermilchkur hing mir das Zeug zum Hals heraus, aber ich hatte beinahe 2 Kilo abgenommen. Wenn wenig essen schon zu solche Erfolgen führt, würde dann nicht gar nichts essen noch effektiver sein?


Am Dachboden fand ich alte Brigitte-Diät-Bücher und nach der Schule stahl ich Diätratgeber in der örtlichen Buchhandlung. Bereits nach einer Woche war ich zumindest in der Theorie mit sämtlichen je von der Menschheit ersonnenen Ernährungsformen zur Gewichtsreduktion vertraut und kannte den Kaloriengehalt von 500 Lebensmitteln auswendig. Mein Schwarm hatte mich noch immer keines Blickes gewürdigt.


Nichts als Kaffee und Wasser zu sich zu nehmen, hat nun zwar einerseits einen recht beachtlichen Körpermasseverlust zur Folge, allerdings stellt sich spätestens ab Tag zwei ein übler Mundgeruch ein und man wird auch ziemlich unkonzentriert.


Zu Beginn der zweiten Woche war ich zwar physisch erleichtert, jedoch ließ die Motivation bisweilen zu wünschen übrig. Manchesmal stellten sich auch Hungergefühle ein, ab und zu konnte ich nicht widerstehen etwas zu essen. Quasi eine Todsünde. Mir war übel, ich hasste mich selbst und begann zusätzlich zum Trampolintraining Sit-ups zu machen. Dass ich eine Nulldiät auf Dauer nicht durchhalten würde, war mir bewußt und vor allem hatte ich Angst davor magersüchtig zu werden. Aber in einem meiner Diätbücher war ich auf den „Reistag“ gestoßen. 200 Gramm Reis, Trockenmasse, sollte „die Pfunde purzeln lassen“. Ich glaube es gibt im deutschen Sprachraum exakt keine Veröffentlichung zum Thema abnehmen, wo nicht mindestens einmal „die Pfunde purzeln lassen“ vorkommt, ich habe diesen Ausdruck schon immer gehasst.


Zuvor hatte ich immer behauptet „Ich habe Mitleid mit allen Chinesen, weil die so viel Reis essen müssen“ und die klebrigen Körner geschmäht, aber um der Diät willen würgte ich nun exakt abgewogene Mengen davon hinunter. Meine Mutter wollte mir einen Gefallen tun und hatte sogar für mich vorgekocht, weil der Reis nicht ganz so schrecklich schmeckte wie üblich, kam ich dahinter dass sie einige Tropfen Öl und etwas Salz beigefügt hatte. Ich wurde hysterisch, denn erstens hat Öl 900 Kilokalorien pro hundert Gramm und damit den höchstmöglichen Energiegehalt überhaupt und außerdem bindet Salz Wasser im Körper. Ich glaube nicht, dass sie zu diesem Zeitpunkt schon vor hatte meine Diäterfolge zu sabotieren, aber um nicht zuzunehmen, legte ich sicherheitshalber eine Extraschicht am Trampolin ein.


Ich begann aus sämtlichen Zeitschriften Bilder auszuschneiden, von Frauen die meine Traumfigur hatten. Auch notierte ich weiterhin fleißig wieviel ich täglich aß. Ich erstellte Listen mit erlaubten und verbotenen Nahrungsmitteln. Ich ernährte mich fortan von Reis, Äpfeln oder eben gar nichts. Um abends den Hunger im Zaum zu halten, blätterte ich in Kochbüchern, betrachtete stundenlang Bilder von Lebensmitteln in allen Zubereitungsstufen und schlief irgendwann erschöpft und mit knurrendem Magen ein. Zusätzlich zum Trampolintraining und zu den Sit-ups ging ich joggen. Nach einem Monat fingen meine Jeans an zu rutschen, nach eineinhalb Monaten hatte ich kaum mehr was zum anziehen übrig und nach drei Monaten, die Waage zeigte 20 Kilo weniger an, musste ich mich am Kleiderschrank meiner Mutter bedienen.


Anfangs waren meine Eltern stolz auf mich gewesen, hatten mich ermutigt weiterzumachen, doch plötzlich bekamen sie es mit der Angst zu tun, meine Lehrer zogen mich in der Pause zur Seite, um ein ernstes Wort mit mir zu sprechen, ich konnte ihre Sorgen nicht verstehen. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben glücklich.


Ich war stets das fünfte Rad am Wagen gewesen, die lustige, dicke Freundin, der Kumpel. Nun interessierten sich plötzlich genau die jungen Männer für mich, die mich früher verspottet hatten. Nachdem ich mich äußerlich so radikal verändert hatte, befand ich es für an der Zeit mein Image zu wechseln. Ich wollte nie mehr die graue Maus, die langweilige Besserwisserin sein, also begann ich zu rauchen, das hatte für mich einen zwar betont intellektuellen, aber interessanten Touch. Mit meiner neuen Selbstsicherheit war es nicht weit her, mittels Alkohols konnte ich mir allerdings behelfen. So gut sogar, dass ich bald auf Parties die betrunkenste und enthemmteste Person von allen war.


Irgendwann in dieser Zeit passierte es zum ersten Mal. Meine Selbstdisziplin ließ sich nicht mehr aufrechterhalten und ich stopfte mich derart mit Essen voll, dass ich mich übergeben musste. Ich hatte mechanisch nicht nachgeholfen, also brauchte ich noch keine Angst vor einer Essstörung haben, dachte ich zumindest. Die Fressattacken nahmen allerdings rasch überhand und eines Tages fing ich an, mich verschiedenster Hilfsmittel zu bedienen, um die überschüssigen Kalorien wieder loszuwerden.


Ein durchschnittlicher Fressanfall, meist in zwei bis drei Etappen angelegt, bestand zum Beispiel aus: 8 Kokoskuppeln, 7 Wurst- und Käsesemmeln, 1 Fruchtplunder, 2 Cabanossis, 1 Leberkäsesemmel, 1 Liter Cola, 250 g Erdnüssen, 2 Schokoriegeln, 1 Tüte Gummifröschen, ½ Apfelstrudel (nicht zu verwechseln mit einem halben Stück Apfelstrudel!), Sauerkraut mit Speck, 3 Bratwürsten, 4 großen Bratkartoffeln mit Ketchup, 1 Banane, 4 Toastbroten mit Marmelade + viel Butter, 4 Wurstbroten (die Wurst fingerdick aufgeschnitten, die Brote mindestens ebenso), 1 Dose Ananas, 1 Glas Currysauce.


Ich lernte bald in welcher Reihenfolge ich essen musste, um hinterher leichter erbrechen zu können. Anfangs hatte es genügt, wenn ich mir den Finger in den Hals steckte um den ersehnten Brechreiz auszulösen, bald reichte diese Stimulation nicht mehr aus. Ich steckte mir alle möglichen Gegenstände in den Rachen, zusammengerollte Taschentücher, Zahnbürsten, sogar Tampons. Ich denke, es gibt keinen erbärmlicheren Augenblick im Leben eines Menschen, als den, wenn dir erst ein Schwall Kotze aus der Nase schießt und dir plötzlich die Zahnbürste im Schlund steckt und du verzweifelt um Atem ringst, in der Gewissheit, dass irgendjemand deine Leiche in einer stinkenden Lache aus Erbrochenem finden wird, wenn du das Ding nicht schleunigst irgendwie herausziehen kannst. Noch peinlicher wäre es wahrscheinlich nur, an einem O.B. zu ersticken. Nach jahrelanger Übung kann ich mich übrigens mittlerweile auf Befehl übergeben.


Ich hasste mich für meine Schwäche. Der saure Geruch von Kotze begleitete mich überallhin. Damit meine Eltern keinen Verdacht schöpften, schüttete ich literweise Shampoo in die Toilette um den Gestank zu überdecken. Bei Schulausflügen oder wann immer ich meine gewohnte Umgebung verließ, führte mich mein erster Weg aufs Klo. Ich musste mein Revier abstecken, herausfinden wann ich am besten ungestört kotzen könnte. Ich lernte die Vorteile und Tücken von Flach- und Tiefspülern ebenso kennen, wie die Segnungen einer Bad-WC-Kombination - bei vollaufgedrehter Dusche lassen sich Würggeräusche überdecken und der Wasserdampf hilft gegen den Geruch. Wenn ich, aus welchen Gründen auch immer, nicht kotzen gehen konnte, wurde ich unruhig, reizbar und aggressiv. Für solche Fälle spielte ich mit dem Gedanken, mir Abführmittel zuzulegen. Unter anderem deshalb kenn ich praktisch nur ein italienisches Wort: lassativo - Abführmittel.


Ich wünschte mir nichts mehr, als magersüchtig zu sein, nie mehr essen zu müssen. Ich bewunderte die Willenskraft derer, die sich zu Tode hungern, ich dagegen war schwach und ekelerregend.


Natürlich hatten meine Eltern mitbekommen was mit mir los war, nicht nur weil in unserem Haushalt riesige Mengen an Toilettenpapier, Duschgel, Zahnpasta und Nahrungsmitteln verschwanden. Sie drohten mir, mich ins Krankenhaus einliefern zu lassen. Mein Vater baute eine Speisekammer, zu der ich nur unter Aufsicht Zutritt hatte. Jedoch schaffte ich es immer wieder nachts mit meinen spindeldürren Unterarmen Lebensmittel herauszufischen, oder angelte mit einem aufgeschnittenen Hoola-Hoop-Reifen nach dem Brotkorb. Aus „öffentlich“ zugänglichen Lebensmitteln wie Mehl und Ketchup buk ich frühmorgens Fladenbrot im Toaster, überhaupt kann ich wahrscheinlich aus praktisch allem Essbaren eine kotzbare Mahlzeit zubereiten.


Wenn ich nicht gerade in der Schule saß, ging ich auf Diebestour in Supermärkten oder versuchte zuhause unbemerkt alles Kalorienhaltige an mich zu raffen. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, als an Essen. Meine Klogänge daheim wurden streng überwacht, notgedrungen musste ich in den Wald ausweichen. Bald war es mir zur Gewohnheit geworden, mit einer Handtasche voller Taschentücher, einer Zahnbürste, Zigarretten und einer großen Flasche Wasser durch die Wälder zu streifen um bei jeder Wetterlage meinen Mageninhalt loszuwerden. Selbst Aussentemperaturen von minus 20 Grad schreckten mich nicht ab.


Mein Gesicht war aufgedunsen, ich hatte beständig Magenschmerzen, Mundgeruch, Konzentration war ein Fremdwort geworden, eine unendliche Erschöpfung hatte Besitz von mir ergriffen. Es verging kein Tag mehr, ohne dass ich mich im wahrsten Sinne des Wortes besinnungslos fraß um mich hinterher zu übergeben, meist mehrmals täglich. Meine Tagesverfassung war gewichtsabhängig, ein halbes Kilo weniger oder mehr war ausschlaggebend für Hochgefühle oder schwere Depression - die Waage ein Gradmesser meiner Verzweiflung.


Plötzlich begann ich Blut zu erbrechen, anfangs hielt ich es für geschmolzene Schokolade, Blutungen aus dem Magentrakt wirken bräunlich im Gegensatz zu den hellroten Rachenblutungen. Beim ersten Mal wurde ich noch panisch, im Laufe der Zeit gewöhnte ich mich daran. Ich wünschte mir sogar, innerlich zu verbluten, damit dieser unwürdige Zustand endlich ein Ende hätte.


Das Einzige was mich, abgesehen von essen noch aufrecht erhielt, war, so paradox es klingen mag, der dringende Wunsch zu sterben. Nächtelang hielt mich der Gedanke an Selbstmord wach und ich ritzte mir mit Rasierklingen ins Fleisch, zumindest Schmerz konnte ich noch empfinden.


Andere Lebensinhalte hatte ich nicht mehr. Nun, vielleicht noch das Bedürfnis nach menschlicher Nähe. Um dies zu erreichen, betrank ich mich bei jeder Gelegenheit maßlos. So wahnsinnige Angst ich nüchtern vor Sozialkontakten hatte, so zügellos benahm ich mich im Rausch. Was einerseits zu einem sehr zweifelhaften Ruf, andererseits zu einigen Alkoholvergiftungen führte.


Die Schule sah ich nur mehr selten von innen (geschafft habe ich sie dennoch, das Wie ist mir bis heute schleierhaft.). Die erste große Liebe war längst vergessen, unzählige weitere aussichtslose Schwärmereien waren ihr gefolgt. Meine Eltern hasste ich aus tiefstem Herzen, mich selbst allerdings noch viel mehr.


Was es war, dass mich am Leben erhielt, kann ich nicht beurteilen. Nicht die Therapiestunden, nicht die stundenlangen nächtlichen Telefonate mit der Telefonseelsorge, nicht der stationäre Klinikaufenthalt, nicht die Selbsthilfegruppe, nicht der erste Freund, nicht der zweite, mein Elternhaus unter Garantie nicht, auch nicht der nahezu inexistente Bekannten- und Freundeskreis. Möglicherweise gibt es doch so etwas wie einen Lebenswillen, der unter all der Selbstverachtung und dem tiefempfundenen Haß für die eigene Person schlummert.


Mit 19 zog ich von zu Hause aus, um ein neues Leben zu beginnen und endlich Freunde zu finden, Menschen die mir ähneln. Ich fand sie nicht, meine einzige Begleiterin war die Bulimie. Seit Jahren definierte ich mich nur mehr über diese Krankheit, sie war mein Halt, mein Ritual, meine beste Freundin, alles was meine Person ausmacht. Meine Ängste und die Einsamkeit ertränkte ich in Alkohol, oft auch in der Absicht nie wieder aufzuwachen.


Heute bin ich 24 und Teil-Zeit Bulimikerin. Ich habe es satt all meine Energie im Klo hinunter zu spülen. Ich kotze nur mehr alle paar Tage, manchmal sogar wochenlang nicht. Ich habe gelernt meine Fressattacken zu kontrollieren, aber auch, dass zu starker Kontrollzwang das Gegenteil bewirkt. Die Depression ist nach wie vor meine ständige Begleiterin, bisweilen kann ich dem Leben jedoch schon ein paar schöne Momente abgewinnen. Ich lerne nur langsam, wie es ist, wirkliche Freunde zu haben und aus der selbstauferlegten Isolation herauszutreten. Ich würde niemals andere Menschen nach so strengen Maßstäben beurteilen wie mich selbst, doch ich bin meine gnadenloseste Kritikerin. Spiegel sind noch immer meine schlimmsten natürlichen Feinde. Denn egal, ob ich wie zu meinen kränkesten Zeiten 45, oder wie jetzt 55 Kilo auf die Waage bringe, alles was ich sehe ist Fett. An schlechten Tagen wage ich es nicht die Wohnung zu verlassen, weil ich mich fühle wie ein gestrandetes Walross, ein wirklich häßliches noch dazu. Ich habe Angst vor fremden Menschen, Angst davor ausgelacht zu werden. In der Öffentlichkeit zu essen ist purer Stress für mich, auf offener Straße oder in Umkleidekabinen befallen mich hin und wieder Panikattacken und ich fürchte zu ersticken.


Die Bulimie hat mich neben der Kunst des Verschleierns auch in der hohen Kunst des Fassadenbaus unterwiesen. Meine Umwelt hält mich für selbstsicher, geradezu arrogant. Nach außen hin bin ich eine starke, sehr harte Frau mit recht männlichem Gehabe und morbidem Humor. Innerlich allerdings bin ich leer - wie eine Wursthaut ohne Fülle. Mich bis zum Anschlag mit Essen vollzustopfen, ist meine einzige Möglichkeit mich lebendig zu fühlen.


Ich maße mir nicht an, wirkliche Ratschläge erteilen zu können, jede Bulimieerkrankung hat ihre ganz speziellen Ursachen. Letztlich denke ich jedoch, dass der Auslöser für diese Krankheit aus der Unfähigkeit resultiert, mit bestimmten Emotionen umzugehen.


Ich habe es aufgegeben in meinen Kindheitserinnerungen herumzustochern, natürlich hatte ich eine bulimietypische Familienstruktur: Den biologischen Vater, den Stiefvater, von keinem der beiden wirkliche Anerkennung, die Mutter die irgendwo dazwischen stand, die Befürchtung einmal so zu werden wie sie - unsicher und fremdgesteuert, die Halbgeschwister und das Gefühl nirgendwo dazu zu gehören, die fehlende Geborgenheit,... Dennoch will ich nicht nur in der Vergangenheit leben oder einen „Schuldigen“ finden.


Ich für meinen Teil kotze mir die sprichwörtliche Seele aus dem Leib, weil mich die Sehnsucht nach menschlicher Nähe, Akzeptanz und Gefühlen, aber gleichzeitig die panische Angst davor (denn Nähe zu wollen, bedeutet aus meiner Sicht der Dinge heraus, sich in eine Abhängigkeit zu begeben, was für mich von Schwäche zeugt) innerlich zerreisst.


Von Selbsthilfegruppen und Internet-Bulimie-Foren halte ich persönlich nicht viel. Zu groß ist die Gefahr sich nur gegenseitig die triste Weltsicht zu bestätigen. Mich hat der Aufenthalt dort stets nur noch mehr deprimiert. Therapeutische Hilfe ist in den allermeisten Fällen unumgänglich. Ein stationärer Klinikaufenthalt kann eine gute Möglichkeit sein, aus dem gewohnten Trott auszubrechen, für eine Heilung allerdings reicht die Zeit sicher nicht aus. Für weiterführende Behandlung empfiehlt es sich, sich an einen ausdrücklich auf Essstörungen spezialisierten Psychologen zu wenden. Eine gewisse Skepsis dieser Branche gegenüber, halte ich dennoch für angebracht. Auf der Suche nach einem geeigneten Therapeuten sind mir schon die absurdesten Dinge widerfahren: Die Psychologin, die mich nach der ersten Stunde fragte „Was wollen sie eigentlich hier? Sie wissen doch was ihr Problem ist.“, der Vorwurf ich hätte bei einem psychologischen Computertest geschummelt, der Psychologe der mich bat, mich doch auf einen anderen Stuhl zu setzen, dieser hier sei nämlich sein Platz, der unendlich beleidigt reagierte und eine weitere Zusammenarbeit vorerst verweigerte, als ich ihn scherzhaft fragte, ob er denn platzfixiert sei.


Bulimie ist eine zerstörerische Sucht, die nicht nur die Betroffene / den Betroffenen sowohl nervlich als auch gesundheitlich und finanziell zugrunde richtet, sondern Familien, Partnerschaften und Freundschaften auseinander reissen kann, der Leidensdruck ist auch für Angehörige beinahe unerträglich.


Essstörungen sind zwar mittlerweile als Gesprächsthema salonfähig geworden, dennoch haftet ihnen ein großes Tabu an, die Dunkelziffer der Betroffenen ist enorm. Die wenigsten Bulimikerinnen bekennen sich offen zu ihrer Krankheit, aus der Befürchtung heraus für psychisch abnormal, nicht liebenswert, abstoßend gehalten zu werden. Dabei lebt diese Krankheit gerade von der Heimlichtuerei, darüber sprechen zu können, nimmt ihr viel von ihrem Schrecken."
gefunden auf  geleeroyale.twoday.net, freundlich genehmigt von MoniqueChantalHuber