Samstag, 20. September 2014

Numbing: Wenn Gefühle nicht mehr zugelassen werden können

Endlich- der erste Post nach der Sommerpause. Ich freue mich, euch ab jetzt wieder jeden Samstag "beliefern" zu können! Schreibt mir übrigens gern, wenn ihr ein bestimmtes Thema gern in einem gesonderten Post behandelt haben möchtet!

In einigen vergangenen Posts habe ich ja schon mal geschrieben, dass ich in der Vergangenheit ziemlich große soziale Schwierigkeiten hatte. Das Schlimme daran war vermutlich nicht, dass ich es einfach nicht konnte, sondern dass ich wusste, dass ich diese Schwierigkeiten habe und wie ich mich von außen betrachtet verhalte. Das machte alles nur noch schlimmer. Mittlerweile ist es mir möglich, mich in sozialen Situationen normal und charmant zu verhalten, ohne mich dabei verstellen zu müssen. Wenn sich andere jedoch verstellen, stößt mir das mittlerweile sauer auf. Ich vermute, dass das auch mit meiner "Gefühlskälte" zu tun hat, die ich in den ersten Jahren meiner Symptomfreiheit hatte. Ich konnte einfach nicht mit anderen mitfühlen, und auch meine eigenen Gefühle nur schwach wahrnehmen. Ich musste sie wirklich benennen, und das Schreiben hat mir dabei sehr geholfen.

Diese Gefühlskälte ist mir vor kurzem wieder in einem wissenschaftlichen Artikel begegnet. Sie kann eine Strategie der Psyche sein, mit extremen Belastungen umzugehen: man bezeichnet es auch als "(Psychic) Numbing". Darunter versteht man das Abstumpfen von Gefühlen nach einer traumatischen Erfahrung.

Ich denke im Nachhinein, dass ich selbst zeitweise von Numbing betroffen war. In meiner eigenen Vergangenheit war es so, dass ich oft nicht mit anderen mitfühlen konnte. Bekannte haben mir z.B. ein schlimmes Erlebnis erzählt, und ich konnte einfach nicht nachempfinden, was das für sie wohl bedeutet hat. Teilweise dachte ich sogar an Autismus, weil ich ganz normales Mitgefühl einfach nicht mehr kannte. Natürlich wusste ich aber, wie ich reagieren "soll" und habe daher nie groß damit angeeckt. Außer in meiner Beziehung war ich jedoch nicht gut zur sozialen Interaktion fähig. Ich fühlte mich immer außen vor, und freundschaftliches Verhalten war mir einfach völlig fremd. Trotzdem hätte ich gern eine Freundin gehabt, aber es ging einfach nie über ein Bekanntschaftsverhältnis hinaus, weil ich keine Gefühle zeigen konnte, so sehr ich es auch gewollt hätte.

Wie geht es euch- habt ihr auch schonmal so ähnlich empfunden?

4 Kommentare

  1. Hallo,
    erstmal: danke für deinen Blog!
    Eigentlich bin ich nur ein stiller Leser, aber gerade möchte ich dir antworten.
    Mir geht es ganz genauso. Ich dachte schon öfters, ob ich auch autistisch veranlagt sei, weil ich einfach seit Jahre so kalt bin und mich teilweise auch richtig unbarmherzig fühle, wenn ich über Dinge spreche (ich hab meine Beziehung gerade erst beendet- keinerlei Schmerz oder Trauer- okay, ich war ganz erstaunt, dass ich sogar eine Minute nach dem Gespräch dann kurz geweint hatte. Alle sind so mitfühlend und mir ist es eigentlich recht egal. Irgendetwas kann doch da nicht stimmen...).
    Ich wünsch mir auch seit Ewigkeiten endlich wieder eine richtig gute Freundin, eine, mit der ich alles machen kann, alles teilen kann, über alles reden kann, wo ich sein so kann, wie ich bin. Aber ich suche und suche und finde sie nicht. Leider weiß ich, dass es zum Großteil an mir liegt: ich kann mich nicht öffnen und nicht "echt" sein. Aber wie schafft man das?
    Ich verstehe mich mit allen. Aber fühle mich immer allein, weil niemand mich so richtig kennt. Ich weiß selbst leider nicht, wie ich wirklich bin, weil ich seit ich denken kann nur diese Rolle spiele... Wie hast du es denn geschafft, das abzulegen?

    Liebe Grüße

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    1. Hm, das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Erstmal ist es denke ich wichtig, dass man sich akzeptiert, wie man gerade ist. Mir hat es früher immer sehr geholfen, mich als "auf dem Weg" zu meinem "richtigen Ich" zu sehen. Also daran zu glauben, dass ich mich irgendwann selbst finden werde. Und es aber anzuerkennen, dass man eben noch nicht so weit ist.
      Das bedeutet dann im Umkehrschluss, dass man sich für diese Unvollkommenheit keine Vorwürfe zu machen braucht, sondern sich so sein lässt, wie man ist- schließlich hat man diese eine, wahre Vergangenheit, die das aktuelle "ich" begründet. Diese Vergangenheit ist real, man kann sie nicht mehr ändern.

      Und diese Vergangenheit begründet ja auch die emotionale Abgestumpftheit. Ich kann mich noch an eine konkrete Situation erinnern, in der ich mir selbst gesagt habe "so lass ich mich nicht mehr fertig machen, ich reagiere einfach gar nicht mehr". Einfach um die Situation in dem Moment ertragen zu können.

      Weil man sich emotional nicht vollständig fühlt, ist es natürlich auch ganz schwer, eine echte, vertraute Freundin zu finden- das geht mir teilweise immer noch so- obwohl ich mittlerweile zwei vertraute Personen als "Freundinnen" bezeichnen würde. Dennoch geht es mir oft so, dass ich mich da unzulänglich fühle oder auch ein bisschen Angst habe, in gewissen Situationen nicht so emotional zu sein, wie ich es gerne wäre. Aber ich habe irgendwann für mich entschlossen, mich so zu lassen, wie ich gerade bin und das einfach zu akzeptieren, und davon auszugehen, dass das wieder wird, je mehr Kontakte ich nach außen hin habe.

      Manchmal versuche ich auch, etwas besonders liebenswürdiges an anderen Personen zu finden, wenn es mir schwerfällt, eine Bindung herzustellen. Oder mir vorzustellen, dass jede Person irgendwo Schwierigkeiten hat. Naja, aber ersteres geht meistens einfacher ;)

      Diese Rolle, von der du schreibst.... ja, dieses Gefühl hatte ich vor einigen Jahren auch noch. Dann habe ich irgendwann beschlossen, diese "Arbeit" an mir zu machen, und mir zu überlegen, wie ich gerne wäre. Meine Eigenart zu finden und auf ihr aufzubauen. Welche Schwächen habe ich, welche Stärken. Und dann eher die Stärken auszubauen, weniger die Schwächen auszuradieren. In der Rolle sehe ich mich jetzt nicht mehr, vielmehr fällt mir die Rolle oft umso mehr bei Anderen auf.

      Wenn man die Rolle dann nicht mehr spielt, fällt es auch sehr viel leichter, andere Menschen für sich zu gewinnen, weil es auch anderen auffällt, wenn du "echt" bist. Ich glaube, erst dann wird man richtig liebenswert- im wahrsten Sinne des Wortes ;) Meine beiden Freundinnen haben sich für mich interessiert, und ich war lange Zeit irritiert davon, weil ich dachte, ich sei nicht emotional genug oder einfach "irgendwie" komisch. Kann das immer noch nicht anders beschreiben, bzw. wüsste ich auch gar nichts konkret "komisches" an mir. Es war einfach dieses Gefühl, dass etwas mit mir nicht stimmt. Aber sie sind immer noch da und mögen mich- und ich sie ;) Auch weil sie mir ihr Vertrauen zuerst entgegengebracht haben.

      Liebe Grüße
      Jo

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  2. Mir geht es auch so. Wobei ich an sich ein sozialer Mensch bin, denke ich, aber ich spiele immer eine Rolle, wenn ich Bekannten begegne. Die "Immer guter Laune und alles super Rolle". Ich weiß nicht, wie ich mich endlich KOMPLETT öffnen kann. :(

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    1. Hey du,
      vielleicht wäre es ein Anfang, mal ehrlich zu sein- und keine gute Laune vorzuspielen, wenn du gar nicht gut drauf bist. So lässt du die anderen auch viel eher an dich ran, weil sie nicht erst das "Lügengerüst" durchbrechen müssen... Oder vielleicht auch nicht wissen, woran sie sind.

      Liebe Grüße!

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