Samstag, 31. Januar 2015

Ego-Depletion, oder: Warum Disziplin wichtig, aber trotzdem keine Lösung ist

Es ist ein äußerst schwieriges Thema: Bulimie und die Frage, ob und wie Disziplin etwas mit der Heilung zu tun hat. Ich habe dazu einige Erfahrungen gemacht, die ich gern mit euch teilen möchte.

Von welchen Grundvoraussetzungen sprechen wir bei der Bulimie? Der durchschnittliche Leser dieses Blogs hat mehrmals die Woche FAs und ist seit 5-10 Jahren betroffen. Man kann also nicht sagen, er wäre erst in die Krankheit gerutscht und findet ganz von alleine wieder zurück. Nach dieser Zeit heißt das auch, dass sein Gehirn in der Zwischenzeit gelernt hat, irgendetwas an der Bulimie so gut zu finden, dass er immer wieder FAs "produziert", um seinem Gehirn die gewünschte Dopaminladung zu liefern. Die FAs sind also zumindest zu einem gewissen Teil automatisiert. Zu behaupten, ein Bulimiker wäre seinen Anfällen machtlos ausgeliefert wäre dennoch falsch. Bulimiker sind nach wie vor zu voller kognitiver Leistung fähig und mit ein paar Tricks kann man seine Impulskontrolle auch durchaus beeinflussen- und das auch langfristig.

Aber zurück zur eigentlichen Frage: welche Rolle spielt Disziplin? Disziplin ist zunächst nötig, um sich selbst an dem FA zu hindern. Der Knackpunkt ist also, den Impuls, einem FA nachzugeben, zu kontrollieren. Das erfordert Willenskraft. Die Willenskraft ist aber nachweislich begrenzt, das besagt die "Ego-Depletion"-Theorie. Willenskraft steht jeden Tag nur in begrenztem Maß zur Verfügung. Stellt euch die menschliche Willenskraft wie ein gefülltes Wasserglas vor. Jedes Mal, wenn man also einen FA abwehren muss, wird das Wasser im Glas ein bisschen weiter aufgebraucht. Wenn man sich also den ganzen Tag gegen FAs wehrt, kann es sein, dass das Wasser am Nachmittag aufgebraucht ist und man gar keine Kraft mehr hat, sich zu wehren und dem FA sozusagen erliegt. Man macht es sich also einfacher, wenn man sich nicht dieser ständigen Abwehr aussetzt, sondern Strategien entwickelt, die die Gefahr schon im Vorfeld verhindern. Das können ganz einfache Dinge sein, wie zum Beispiel, keine verlockenden Lebensmittel zu lagern, oder nicht den ganzen Tag zuhause zu sitzen und sich ständig zu überlegen, ob man jetzt etwas isst oder nicht.

Man muss so lange Hilfsstrategien anwenden, bis das Gehirn langsam, aber sicher ein anderes Verhaltensmuster, d.h. eine Alternative zum FA erlernt hat. Und selbst in dieser schwierigen Zeit kann man sich selbst ein wenig von dieser Disziplin abnehmen, und zwar durch Escorten-Mahlzeiten.

Stellt man sich also vor, dass man die Entscheidung trifft, ab sofort 3 normale Mahlzeiten am Tag zu essen und weder FAs zu haben noch zu erbrechen, dann müsste man sich jeden Tag mindestens diese 3 Mal selbst kontrollieren, um nicht wieder in ein bulimisches Essverhalten zurückzufallen. Die eigene Willenskraft würde sich dann im Lauf des Tages immer weiter aufbrauchen. Würde man versuchen, das über mehrere Tage oder Wochen durchzuhalten, dann gäbe es ein sehr hohes Risiko, wieder rückfällig zu werden, weil man jeden Tag einem enorm hohen Druck ausgesetzt ist.

Ok- aber was soll man denn sonst tun, wirst du dich vielleicht fragen. Irgendwie muss ich mir doch ein normales Essverhalten aneignen. Wie komme ich da hin? Es ist doch anzustreben, diese 3 Mahlzeiten zu schaffen?

Eine Möglichkeit, die Willenskraft zu schonen, sind Gewohnheiten im Hinblick auf die Mahlzeiten. Gewohnheiten benötigen am Anfang natürlich Disziplin. Aber nach einer gewissen Zeit schaltet das Gehirn auf "Automatik-Modus" um und spult die entsprechenden Verhaltensweisen fast automatisch ab (dummerweise ist genau das eben auch bei den FAs der Fall, so dass man oft das Gefühl hat, ausgeliefert zu sein).

Um sich verlässliche und hilfreiche Gewohnheiten im Hinblick auf die Mahlzeitenstruktur anzueignen, stellt man also einige Überlegungen dazu an, wie das Essverhalten in Zukunft konkret aussehen soll. Das betrifft zum einen die Uhrzeit, die Anzahl, aber auch die Zusammensetzung der Mahlzeiten. Am besten machst du dir hierzu einen ehrlichen Plan, der folgende Fragen beantwortet:

- Wie oft esse ich?
- Wo esse ich?
- Gibt es ein bestimmtes Besteck oder Geschirr, das ich gerne benutze?
- Wann esse ich?
- Was esse ich?

Wenn du eine Antwort auf diese Fragen gefunden hast, dann mach einen 1-Woche-Test. Das heißt, du hältst dich eine Woche lang an diesen Plan, und anschließend schaust du, ob es dir gut getan hat, oder was du daran gern verbessern würdest.

Klar, mit einem "normalen Essverhalten" hat so ein Essen nach Plan absolut nichts zu tun. Man sollte es sich aber auch vielmehr als Transformationshilfe vorstellen, wie eine Art Stützräder, um dann irgendwann durch die Hilfe dieses künstlichen Mittels wieder selbst fahren zu können.

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