Sonntag, 2. März 2014

9 Mythen über Bulimie - und was wirklich stimmt

Viele der hier aufgezählten Punkte habe ich heute das erste Mal überhaupt so formuliert. Oft muss ich mich bei solchen verallgemeinernden Dingen daran erinnern, wie es bei mir damals war. Ich habe immer versucht, mir die Bulimie als ungesunde Verhaltensweise vorzustellen, und neurologische Funktionsmuster gesucht, die das bulimische Verhalten erklären. Ich hoffe, all die verschiedenen Aspekte, in nicht allzu ferner Zukunft einmal in einer allgemeinverständlichen Grafik zusammenfassend darstellen zu können.
Vorerst also dieses kleine Sammelsurium, und ich hoffe, es hilft euch weiter.
  1.  "Süßigkeiten gehören zu einem normalen Essverhalten dazu!"
    • Um normal zu essen, MUSST du keinen ZUCKER und keine Süßigkeiten essen! Süßigkeiten sind zwar "normal" im Sinne von dem, was der durchschnittliche Mensch so isst, aber in der ersten Phase deiner Heilung solltest du darauf verzichten.
  2. "Disziplin hat mit der Heilung von Bulimie nichts zu tun!"
    • Die erste Phase besteht aus Disziplin. Du solltest dich an die Essensvorgaben halten, damit dein Gehirn neue Verhaltensweisen erlernen kann. Dies hat neurologische Gründe, die es dir später erleichtern, fast mühelos normal zu essen.
  3. "Du hast ein psychisches Problem, die Bulimie ist nur das Symptom."
    • In den meisten Fällen ist mit dir tatsächlich alles ok. Fakt ist, dass JEDER Mensch irgendwelche Probleme und Ungereimtheiten mit sich selbst oder seiner Vergangenheit hat. Aber nicht alle werden bulimisch. Ich selbst habe lange geglaubt, ich hätte ein großes emotionales Problem, und die Bulimie sei nur die Ursache dessen. Diese Theorie hat ernsthafte Risiken: denn wenn du nicht weißt, was dein "richtiges" Problem ist, und dir die Therapie auch nicht dabei hilft, es zu "finden", dann wirst du immer wieder zur Bulimie zurückkehren, weil dein echtes Problem ja (scheinbar) nicht bearbeitet ist. Du bist scheinbar psychisch richtig krank, weißt aber nicht, warum und woran das liegt. Allein die Vorstellung, psychisch krank zu sein, kann psychisch krank machen- das ist die sog. selbsterfüllende Prophezeiung. 
  4. "Du wirst dein Leben lang ein "trockener" Bulimiker sein."
    • Essen ist an sich keine suchtauslösende Substanz. Das Problem bei Bulimie ist, dass das Gehirn mit der Zeit erlernt hat, dass es sich durch Essen besser fühlt und daher immer und immer wieder nach der "Droge" Essen verlangt. Es gibt daher nur eine Änderung des Verhaltens, denn im Gegensatz zum Alkohol kann kein Mensch ohne Essen auskommen. An dieser Stelle sagen viele: "... und darum ist es auch so schwierig, von der Bulimie loszukommen, denn im Gegensatz zum Alkohol MUSS man essen und ist ständig mit dem Suchtstoff konfrontiert." Wenn das stimmen würde und man wirklich die Aussicht hätte auf eine lebenslanges Risiko, dann könnte wahrscheinlich niemand dauerhaft von Bulimie geheilt werden, denn wie wir heute wissen, ist die Willenskraft / Disziplin begrenzt. Man kann sich nicht tagelang disziplinieren, zusammenreißen und selbst kontrollieren. Denn die Wilenskraft ist wie ein Glas Wasser, das über den Tag aufgebraucht wird. Trinkt man morgens schon viel, dann bleibt für den Rest des Tages weniger übrig. Neue Verhaltensweisen entstehen im Gehirn durch ständige Wiederholung und irgendwann wählt man die Verhaltensweise automatisch. Ich muss beim Schuhebinden nicht mehr darüber nachdenken, welchen Schnürsenkel ich wie halte und binde, damit alles hält. Es funktioniert automatisch und kostet mein Gehirn so sehr wenig Energie. Genauso ist es auch mit der Heilung von Bulimie. Irgendwann ist der alte Weg "FA" nicht mehr da, weil er nicht mehr befahren wird, er ist unsichtbar und damit ungefährlich.
  5. "Irgendwann ist man zu alt oder hat zu lange Bulimie, um geheilt zu werden." 
    • Bereits in den 2000er Jahren wurde bewiesen, dass das menschliche Gehirn ein Leben lang in der Lage ist, sich neuen Anforderungen anzupassen. Genau DAS ist es, was einen überlebensfähigen Menschen gemäß Darwin nämlich ausmacht: nicht der stärkste, sondern der anpassungsfähigste Mensch überlebt. Und zwar durch die Bereitschaft, sein Gehirn zu fordern und sich wechselnden Gegebenheiten anzupassen. Die wechselnde Gegebenheit im Falle eines Lebens ohne Bulimie ist es, die bulimischen Symptome aufzugeben und sich den Herausforderungen des Alltags aktiv zu stellen. Lebenslanges Lernen ist im Grunde nicht sehr verschieden zu einer Verhaltensänderung, denn auch hier müssen neue Bahnen im Gehirn entstehen.
  6.  "Das Essen ist nicht das Problem."
    • Zuckerabhängigkeit, oder Abhängigkeit von Weißmehlprodukten; evtl. (beginnende) Insulinresistenz (reversibel!) ist ein zentrales Problem der Bulimie. Durch den gezielten Ausgleich des Nährstoffmangels bei Bulimie und die Verhaltensänderung kann sie geheilt werden. Darum ist die Wahl der Lebensmittel auch so wichtig, wenn man den Teufelskreis durchbrechen will. 
  7.  "Die Gefühle sind das Problem."
    • Alle Gefühle werden von uns bewertet - durch Gedanken. Du kannst deine Gedanken wieder unter Kontrolle bekommen! Jeder FA wird von bestimmten, wiederkehrenden, scheinbar zwanghaften Gedanken angekündigt. Du kannst lernen, diese Gedanken zu kontrollieren.
  8. "Du darfst dir keine Lebensmittel verbieten. Du musst alles essen können."
    •  Im Hinblick auf die Zucker-Übersensibilität stimmt das einfach nicht. Ich kann dir dazu das Buch "Zucker und Bulimie" empfehlen. In der ersten Phase, den ersten Monaten, solltest du wirklich auf Zucker- und Weißmehlprodukte verzichten. Verzichte auch darauf, dich zu "testen". Das bringt dich nur unnötig unter Druck, geht meistens (früher oder später) schief und hilft dir nicht weiter.
  9. "Normal zu essen heißt, das zu essen, was alle anderen auch essen."
    • Was bedeutet "normal essen" für dich? Morgens zum Frühstück Weißmehlbrötchen mit Marmelade, ein Käsebrot und Mittags Spaghetti mit Tomatensoße, und abends wieder das Käsebrot, so gut wie kein Obst und Gemüse, und wenn, dann wirst du von Familienmitgliedern oder anderen fast schon beschimpft, du würdest "zu gesund" essen? Um die Bulimie wirklich hinter dich zu lassen, musst du die Ernährungsweise für dich finden, mit der du dich wohlfühlst. Für mich gehören heute beispielsweise Obst und Gemüse selbstverständlich dazu, während ich mich während der Bulimie regelrecht dazu zwingen musste. Ich dachte, wenn ich schon etwas esse, dann muss es mir einen (Zucker-) Kick geben, sonst wäre es das nicht wert. Wenn das bei dir auch so ist, dann verurteile dich nicht dafür, sondern glaub an dich. Das kommt, wenn du ohne FAs essen kannst, fast von allein.

0 Kommentare

Kommentar veröffentlichen