Samstag, 16. März 2013

Soziale Ängste und Bulimie

Soziale Ängste treten bei vielen Bulimikern auf, wobei man zwischen "Schüchternheit" und einer handfesten Sozialen Phobie unterscheiden muss. Schüchternheit kann als Vorläufer der SP begriffen werden, Schüchterne müssen allerdings nicht derart stark durch ihr Empfinden eingeschränkt sein wie Soziale Phobiker es sind.
Beiden liegt jedoch dieselbe Angst vor negativer Bewertung durch andere zugrunde.

Die Merkmale einer SP sind laut ICD-10:
  • Unangemessen starke Angst vor einer prüfenden Betrachtung durch andere Menschen in relativ kleinen Gruppen. In Menschenmengen tritt die Angst seltener oder nicht auf.
  • Die Furcht ist auf bestimmte soziale Situationen beschränkt. Sie kann in solchen Situationen auch überwiegen.
  • Vermeidung der angstauslösenden Situationen.
  • Der Beginn liegt häufig in der Jugend. 
Ich selbst würde mich während und auch noch längere Zeit nach der Bulimie als sozialphobisch beschreiben, da ich die Interaktion mit anderen als sehr belastend empfunden und dann auch nach Möglichkeit vermieden habe. Natürlich wusste ich, dass ich mir dadurch viele Erfahrungen vorenthielt, und mich im Grunde vom Leben selbst ausschloss. Ich begab mich so in einen geschützten Raum, der keinen Anlass für besonders positive und negative Gefühle gab. So erkläre ich mir heute auch, dass ich so jung aussehe- die Jahre haben keine Spuren in meinem Gesicht hinterlassen. Ich befand mich jahrelang in einem selbstgebauten Kokon.

Durch diese Verhaltensweise wurden die Ängste von Jahr zu Jahr schlimmer, und von Jahr zu Jahr wurde es schwieriger, den Rückstand aufzuholen und mich in der Interaktion mit anderen noch normal zu fühlen. Ich hatte immer den Eindruck, man würde es mir auf den ersten Blick ansehen, dass ich ein "komischer Kauz" bin, und dass ich mich lieber woanders aufgehalten hätte als unter Menschen- egal welche es waren. Selbst die, die mir wohlgesonnen waren und mich mochten, habe ich dadurch oft vor den Kopf gestoßen. Wie geht man mit jemandem um, der meine Anwesenheit ablehnt?

Nun ist es sicherlich interessant zu erfahren, wie ich mich aus der Käseglocke befreit habe. Diesen Schritt bin ich sehr langsam und wackelig gegangen. Er hat sich wieder über mehrere Jahre hingezogen.

Geholfen hat mir zunächst eine Art stoischer Ansatz. Die Stoiker sagen, dass nichts einen Menschen verletzen kann, auf das er keinen Einfluss hat. Nun könnte man sich eine Sichtweise aneignen, die dem Urteil anderer der eigenen Person gegenüber keine Bedeutung mehr beimisst, weil man nur in begrenztem Maße Einfluss darauf hat. Wenn ich also denke, dass andere sowieso denken, was sie wollen, und es mir infolge dessen egal ist (weil ich sowieso nur in begrenztem Maße Einfluss darauf haben kann), dann verliert diese Angst an Stärke.

Geholfen hat mir auch die Erfahrung, dass der Mensch sich selbst generell sehr viel stärker kritisiert als seinen Mitmenschen. Bei anderen denkt man sich oft "es wird schon seinen Grund haben, warum er dies oder jenes macht", bei einem selbst wertet man das Verhalten schneller als Fehler.

Aus meiner eigenen Erfahrung heraus glaube ich, dass jeder die soziale Phobie überwinden kann. Dabei ist es gut, sich selbst als einen Menschen zu sehen, der "auf dem Weg" ist, und sich immer nur mit sich selbst vergleicht. Selbst wenn man in gewissen Situationen noch schüchtern und gehemmt ist, kann es ein Fortschritt im Vergleich zum eigenen Verhalten in der Vergangenheit sein.

Auch gut ist es, sich Fehler zuzugestehen und, wie immer, eine eigene, ganz individuelle Persönlichkeit. Ein guter Ansatz kann sein, sich selbst nicht als "komisch" zu betrachten, sondern die eigenen scheinbaren Fehler als Teil der Persönlichkeit zu sehen. Erst die kleinen Fehler machen aus einem Menschen einen sympathischen Menschen. Es ist also sehr sehr wichtig, die vermeintlichen Fehler nicht alle ausmerzen zu wollen, sondern zu ihnen zu stehen.

2 Kommentare

  1. Hi,

    dein Blog gefällt mir wirklich sehr gut. Du schreibst wirklich sehr gute Artikel, die sicher vielen Menschen auf ihren Weg aus der Bulimie helfen.

    Auch ich habe sozial Phobie und litt 10 Jahre lang unter Bulimie. Durch die Erkrankung habe ich mich noch weiter zurück gezogen und hatte schließlich kaum noch Kontakt zu anderen Menschen.

    Meine Einsamkeit hat dann dazu geführt, dass ich noch stärker in die Bulimie gerutscht bin.
    Ich habe immer gedacht, dass ich nur geliebt werden könnte wenn ich dünn bin. Allerdings war genau das Gegenteil der Fall.
    Durch die Bulimie war mir eine partnerschaftliche Beziehung oder Beziehungen im Allgemeinen kaum möglich, da ich mich nur noch mit mir selbst und der Bulimie beschäftigt war, und ich wurde immer einsamer.

    Es ist ein Teufelskreis...

    Jeder Mensch braucht Anerkennung, Liebe, Aufmerksamkeit, Freunde. Es ist für uns so wichtig wie Wasser für Pflanzen. Ohne sind wir kaum lebensfähig.

    Wie du schon schreibst ist es unheimlich wichtig, anzuerkennen, dass wir nicht perfekt sein müssen, um geliebt zu werden.
    Für die Menschen die uns mögen sind wir genauso wie wir sind perfekt.

    Es gibt einen schönen Spruch aus dem englischen, den ich hier sehr passend finde:

    "I saw that you were perfekt and so I loved you. Then I saw that you were not perfekt and I loved you even more. "

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    1. Genau so ist es! Dein letztes Zitat sagt es ganz deutlich: gerade unsere kleinen Fehler machen uns erst liebenswert. Eine nach außen hin zur Schau gestellte Perfektion kann einen Menschen unnahbar, vielleicht sogar "unmenschlich" und roboterhaft erscheinen lassen. Menschen haben Fehler und Andere können sich in diesen Fehlern vielleicht wiedererkennen, weil sie diese Fehler auch bei sich sehen. Und Gemeinsamkeiten schaffen Verbindung, Verbindung schafft Beziehung :)

      Liebe Grüße

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