Samstag, 4. August 2012

Bulimie und kein soziales Gespür

Gespür für soziale Situationen kann man wiederentdecken
Schwieriges Thema, finde ich. Ich habe lange Zeit in selbst gewählter Einsamkeit gelebt. Während die Bulimie bei mir akut ein Thema war, habe ich mir immer nur gewünscht, allein gelassen zu werden. Und selbst dann, als das Essthema mit FAs usw. geklärt war, konnte ich einfach keine Freundschaften schließen. Ich hatte einige gute Bekannte, ich kann aber nicht sagen, dass es Freunde waren. Zu keiner Zeit konnte ich jemandem außer meinem Freund dauerhaft vertrauen.
Aber der Wunsch nach einer guten Freundin oder "besten Freundin" trat immer mehr zutage. Ich trauere noch heute meiner besten Freundin aus Jugendtagen hinterher, die ich massiv durch meine Essprobleme verletzt habe. Ich hatte damals einfach kein Gespür mehr für andere Menschen, wie ich mit ihnen angemessen umgehen kann, ich habe sie schlicht und ergreifend nicht vollständig wahrnehmen können.
Wie geht das Gefühl, sich immer nur zurückziehen zu wollen, wieder weg, fragt ihr euch vielleicht. Bei mir hat es wirklich, wie so vieles, Jahre gedauert. Und ich würde fast sagen, dass ich erst vor kurzem auf das Glück gestoßen bin, dass ich mit anderen Menschen erleben kann. Mein Menschenbild war eigentlich durch und durch negativ. Meine Einstellung war "alle anderen sind bescheuert" und dabei hab ich mich vor allem an mir selbst orientiert. Als hätte jeder eigene Misserfolg diese Einstellung neu belegt. Ich habe mich auf Negatives konzentriert, also habe ich auch nur negatives gesehen. Selbst wenn ich es eigentlich, von meiner Vernunft aus betrachtet, besser wusste, so war doch meine Überzeugung anders.
Im Nachhinein war diese Einstellung gar nicht schon immer vorhanden, sie hat sich vielmehr erst nach und nach entwickelt. Aber sie war ca. ein halbes Jahr "akut" und hat mich richtig runtergezogen.
Irgendwann hat es dann "klick" gemacht. Ich wusste, wenn ich so weitermache, dann mach ich mich selbst kaputt. Mit so einer Einstellung werde ich nicht alt. Und vor allem, werde ich so keine Menschen erreichen. Und wer bin ich, ohne andere Menschen? Ohne ehrliche Reflektion, ohne Rückmeldung, ohne eine zweite Meinung?
Was mich vor allem von anderen distanziert hat, war meine extreme kleinliche Kritik an allem, was sie gemacht haben: ich habe jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Mal ehrlich, wer will sich dann mit mir unterhalten? Es gibt eine buddhistische Weisheit, der ungefähre Wortlaut ist "Sei streng mit dir selbst, aber nachsichtig mit den anderen".
Wenn ihr auch Probleme damit habt, andere einfach nur zu mögen, schaut mal hier rein: klick
Alles Gute, Jo

4 Kommentare

  1. Anonym06 August

    Hallo,
    ich merke es bei mir immer extrem wenn ich einen Rückfall hatte.
    Ich finde Tage mit Bulemie mittlerweile anstrengender als die Tage ohne.
    Meine Umwelt merkt das dann immer extrem. Ich kann mich nicht auf das konzentrieren was andere sagen, sondern lebe in meiner egoistischen Kranken Welt. Bin absolut unerträglich und sehr leicht reizbar.
    Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich mein Dämon immer noch meldet, weil er Jahrelang mein Bester Freund / größter Feind war und Angst hat dass ich ihn völlig aufgeben könnte. Was ich ja will!!!
    Warum sonst sollte er sich nach 40 Tagen brechfrei melden?
    Ich versuche mich einfach auf andere Menschen wieder ein zu lassen und ihnen auch zu vertrauen, wenn ich dann doch enttäuscht werde übe ich mich darin, solche Menschen als Trainer zu sehen....irgendwas lernt man ja immer daraus, aber es schafft keiner mehr mich in mein Schneckenhaus zu drängen ;)
    Ohne andere Menschen würden wir doch garnicht existieren können!

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  2. Ich finde deine Einstellung super. Man darf sich nicht von sich selbst von Kontakten abhalten lassen.
    Den Fehler habe ich nämlich damals gemacht und es ist super schwer, diese Suppe auszulöffeln, sich aus dieser Isolation wieder rauszutrauen und zu "resozialisieren", sich in sozialen Situationen normal zu verhalten etc.
    Darum finde ich das toll. Mach weiter so und lass dich nicht von der Bulimikerpersönlichkeit (die Isolation will) ins Schneckenhaus ziehen :)

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  3. Anonym15 August

    Wie kann man denn soziale Fähigkeiten wiederentdecken? Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich das früher mal konnte, und jetzt nicht mehr...!

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  4. Es ist meiner Erfahrung nach auch eine Art Training nötig, um sich wieder ein normales Verhalten in sozialen Situationen anzueignen. Das Wichtigste dabei ist eigentlich, seine Scheu vor solchen Sachen zu verlieren. Andere Leute haben auch ihre Macken und sind nicht perfekt. Jeder hat halt sein Päckchen zu tragen....Und dann reingehen, und jedes Mal was dazulernen, man hilft sich selbst und lernt aus Fehlern. Es ist für mich immer noch spannend, mich ständig weiterzuentwickeln. Klar, es gibt Tage, da denk ich, es geht gar nichts voran oder ich mach Rückschritte. Das ist aber ganz normal. Im Endeffekt kommt es darauf an, dass man sich auch in sozialen Situationen wieder wohlfühlen kann.

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